7.8

MB-Kritik

Wie wilde Tiere 2022

Drama, Thriller

7.8

Marina Foïs
Denis Ménochet
Luis Zahera
Diego Anido
Marie Colomb
Luisa Merelas
José Manuel Fernández y Blanco
Federico Pérez Rey
Javier Varela
David Menéndez
Xavier Estévez
Gonzalo García
Pepo Suevos
Machi Salgado
Luis P. Martínez
Melchor López

Inhalt

Antoine (DENIS MÉNOCHET) und Olga (MARINA FOÏS) haben den Neuanfang gewagt. Das Ehepaar kehrte Frankreich den Rücken zu und fand in einer kleinen Gemeinde im Landesinneren Galiziens eine neue Heimat. Dort arbeiten sie hart, bestellen ihr Fleckchen Land und leben von dem, was sie erwirtschaften. Doch so sehr sich Antoine und Olga auch bemühen, die Einheimischen begegnen ihnen meist mit Argwohn und Ablehnung:Zu tief ist der Graben zwischen den ortsansässigen Bauern, die dem Kreislauf von schwerer Arbeit und Perspektivlosigkeit entkommen wollen, und den beiden Aussteigern, die sich für ein Leben im Einklang mit der Natur einsetzen. Als Antoine das Vorhaben ihrer Nachbarn, den Anta-Brüdern (LUIS ZAHERA & DIEGO ANIDO), unterwandert, Land für den Bau von Windrädern zu verkaufen, verwandelt sich der schwelende Konflikt in unverhohlene Feindseligkeit. Während sich die Männer in einer zunehmend eskalierenden Spirale der Angst und Gewalt verlieren, ist es schließlich Olga, die mit tiefer Entschlossenheit einsam und stoisch ihren schweren Weg geht, um für Gerechtigkeit zu sorgen.

Kritik

Das Fremde, das kommt und etwas wegnimmt, etwas beansprucht, was ihm nicht gehören darf. Zumindest aus einer subjektiven Perspektive. Ein Konflikt, an dem sich diverse Filmemacher*innen abgearbeitet und dabei verschiedenste Kunstwerke erschaffen haben. Viele davon galten als provokativ, vielleicht sogar skandalös. Die wenigen richtig guten haben bis heute nichts von ihrer Intensität verloren. Ein Wer Gewalt sät von Sam Peckinpah oder Beim Sterben ist jeder der Erste von John Boorman knallen, verunsichern und verstören auch Dekaden nach ihrer Premiere immer noch. Auch wenn jeder von ihnen anders mit der Thematik umgeht, im Kern geht es um gescheiterte Annäherungen. Ein kulturelles wie gesellschaftliches Misslingen, welches im Film (wie leider zu oft auch im wahren Leben) meist zu gewalttätigen Eruptionen führt.

Wie wilde Tiere ist von außen betrachtet nicht anders und doch findet Regisseur Mittel und Wege, um allzu platt getrampelte Pfade zu verlassen. Was und vor allem wie er erzählt, bricht den im Prinzip einfach verständlichen Konflikt auf und enthüllt immer wieder Aspekte beider Seiten. Auf der einen das französische Ehepaar Antoine und Olga, die vor einiger Zeit nach Spanien gezogen sind und im Dorf nicht nur wegen ihrer nachhaltigen Landwirtschaft für Stirnrunzeln sorgen. Auch dass einige Dorfveteranen der Meinung sind, dass 'die Franzosen' sich für etwas Besseres halten, vergiftet die Stimmung in der Gemeinschaft. Vor allem Xan (, Anrufer unbekannt) und sein Bruder Loren (, Malencolía) vertuschen es nicht, dass sie wenig von den Neuen halten. Wenn der Film uns in die Geschichte einführt, ist der Konflikt bereits am Schwelen. So sehr, dass nach wenigen Minuten bereits fest steht, es kann nur böse oder abrupt enden. Denn weder Xan noch Antoine werden von ihrem stetigen Konfrontationskurs abrücken.

Zwar folgt die Kamera ganz klar Antoine (bockstark: , Beau is Afraid), doch es wäre falsch zu behaupten, das Drehbuch (welches sich inspirierte von einer wahren Geschichte und bereits dokumentarisch mit Santoalla behandelt wurde) wäre nur an ihm interessiert. Auch seine Frau Olga (ebenfalls famos: , Year of the Shark) sowie seine später noch auftauchende Tochter Marie (Marie Colomb, Die Magnetischen) nimmt der Film als Antriebe, um die Handlung nicht nur fortzuführen, sondern sie auch psychologisch zu erweitern. Auch Xan und Loren werden nicht bloß einfach als plumpe Aggressoren dargestellt. Nach und nach enthüllt sich ihre Motivation, auch wenn das ihre Taten keinesfalls rechtfertigt, so entwickelt sich nach und nach ebenso ein Verständnis für ihre Sicht auf die Dinge. Das wird nie so weit getrieben, dass es zwischen den Parteien zu einer moralischen Patt-Situation kommt, aber es eröffnet dennoch die Tür für eifriges Reflektieren.

Dargeboten wird das in einer unaufgeregten, aber umso eindringlicheren Inszenierung. Immer wieder gibt es minutenlange Dialogszene, die Kameramann Alejandro de Pablo bodenständig, aber ebenso fulminant einfängt. Bei den diversen Streitgesprächen passt sich die Statik der Bilder der Situation an. Es sind keine aufwendigen Fahrten oder Zooms, aber jedes Zucken der Optik passt wunderbar zum gezeigten Moment. Wenn sich Xan und Antoine zum letzten Mal in der Dorfkneipe verbal angehen, dann verharrt das Objektiv. Es fängt den menschlichen Stillstand ein. Zwei Männer, die nicht mehr weiter wissen und für die es anscheinend keinen Weg mehr gibt, als weiter nach vorne. Beide wollen oder können nicht erkennen, dass es nicht gut enden wird. Beide haben aus ihrem Blickwinkel keine andere Wahl. Diese Alternativlosigkeit wird nicht nur mit Worten eingefangen, sondern auch mit dem Stillstand des Anblicks. Bilder, die wenig später, wenn Mutter und Tochter eine hitzige wie emotionale Diskussion haben, in der Küche jäh zirkulieren, aber niemals ungezähmt, sondern stets dezidiert wie diskret.

Diese Diskretion zeigt sich auch in anderen Aspekten des Titels. So besitzt er einen klaren Hang dazu, große, aufwühlende Momente nicht als bittere Schlusspointen zu setzen. Am Ende des Films steht daher keine Tragödie, die wurde bereits zuvor auf erschreckend durchdringende Weise präsentiert, sondern eine Akzeptanz, einhergehend mit der Möglichkeit zur Normalität zurückzukehren. Wenn auch nur eine Scheinnormalität, denn was im Laufe der Handlung passiert, ist eine Zuspitzung, an deren Ende nur eine Machtlosigkeit bleibt und die Wahl, ob man sich dem Zorn hingeben soll oder nicht. Am Ende, das macht As Bestas (so der Originaltitel) klar, gibt es immer Möglichkeiten für eine Annäherung. Selbst wenn diese gekoppelt ist an große Trauer und Einsamkeit.

Fazit

Geschickt erforscht "Wie wilde Tiere" die Dualität zweier Lebenswelten, die sich im selben Habitat nicht vereinbaren lassen. Die Charaktere zeichnen sich durch feingeschliffene Nuancen aus, während ihre Motivationen und Konflikte präzise wie eindringlich dargestellt werden. Die zurückhaltende Inszenierung glänzt durch ihre Substanz und die meisterhafte Darstellung von Machtlosigkeit.

Autor: Sebastian Groß
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