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Der große Jahresrückblick der MB-Redaktion 2015

von Sebastian Stumbek

DIE TOP 10 FILME 2015:

1. Whiplash
Am Ende siegt nicht der Drill, nicht die niederen Triebe, nicht die falschen Männlichkeitsideale. Es siegt die väterliche Zuneigung, die Fürsorge im Moment der totalen Demütigung. Und formal ist die Nummer hier ein rhythmisiertes Ultra-Ultra-Ultra-Meisterwerk.

2. Star Wars: Episode VII - Das Erwachen der Macht
Ohne Frage, „Star Wars: Episode VII – Das Erwachen der Macht“ bereitet reinrassigen Fanservice auf, mit jeder Menge Easter Eggs, Querverweisen und cineastischen Referenzen versehen. J. J. Abrams aber ist in der Lage, seine Star-Wars-Revitalisierung mit einer Eigendynamik durchströmen zu lassen, die sich aus der Synergie des hintergründigen Wissens des Zuschauers und der hier dargebotenen neuen Zeitrechnung zusammensetzt: Nostalgie verkommt hier keinesfalls zum Deckmantel, unter dem es sich zu verstecken gilt.

3. The Guest
The Guest“ ist unfassbar stimulierendes Kino aus einem künstlerischen Guss; ein audiovisueller Luzidtraum, niemals darauf bedacht, seine zündenden Ideen einer forciert nerdigen Verweiskette unterzuordnen.

4. Mad Max: Fury Road
Was George Miller hier in all seiner sich vollends auszahlenden Erfahrung auf die Beine gestellt hat, ist ein von der ersten bis zur letzten Einstellung brillant rhythmisierter Sinnesrausch, paralysierendes Bewegungskino, ein fetziger Tanz der Partikel, intensiviert durch die drängende Kraft kreischender E-Gitarren-Soli und dem dröhnenden Grollen, wie es sich einzig im Herzen einer Gewitterfront bündelt.

5. Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)
Das polternde Drum-Arrangment, welches wie eine Lawine über die Tonspur rollt, akzentuiert nicht nur die formale Dringlichkeit von „Birdman (oder die unverhoffte Macht der Ahnungslosigkeit)“, sie symbolisiert das Seelenleben der Protagonisten, die Ruhelosigkeit und die Mobilisierung letzter Willenskraft, den inbrünstig-schizophrenen Widerstand gegen die alles zerfressende Unbedeutsamkeit.

6. Inherent Vice – Natürliche Mängel
Ein der Mitte des (Welt-)Meeres entsprungener Fluss, bestehend aus Stromschnellen, Wasserfällen, besinnlicher Stille, dem Dazwischen, dem Drumherum, dem, was man kennt oder nicht kennt, was man versteht oder nicht versteht: Ein Lächeln, eine Träne, ein benommener, ein im Nebel des Seins vernebelter Ausdruck existenzialistischer Schwermut. Nichts und Sinnlosigkeit. Alles und Sinnhaftigkeit.

7. A Most Violent Year
Dass J. C. Chandor es größtenteils vermeidet, explizite Brutalitäten zu visualisieren und sie vielmehr, genau wie die entrückte Skyline von Manhattan, immer in den Hintergrund streut, macht ihren pulsierenden Charakter umso bedrückender, beschleicht den Zuschauer doch permanent dieses kratzende Gefühl eines ungeheuren Unwohlseins, als wolle dort etwas unter die eigene Haut krauchen.

8. Ex Machina
Wer einen an Gedankenspielen so reichen Film wie „Ex Machina“ nicht interessant findet, muss schon reichlich ignorant dahingehend sein, sich nicht grundsätzlich mit seiner Existenz, dem Menschen + seinen göttlichen Möglichkeiten zu Erschaffen auseinanderzusetzen.

9. Love & Mercy
Die Inszenierung findet einen ganz eigenen Rhythmus, ein vitales, von den Songs der Beach Boys motivisch katalysiertes Konstrukt, das sowohl ins dysfunktionale familiäre Gefüge blickt, sowie es den schöpferischen Drang eines Künstlers nicht nur als Segen definiert, sondern ebenso dessen destruktive Ausmaße für den innerseelischen als auch sozialen Komplex thematisiert.

10. Foxcatcher
Es geht um den inneren Kampf der Protagonisten, die allesamt auf ihre Weise voneinander abhängig scheinen, ihrer sozialen Impotenz aber ausgeliefert sind und am Rühren der großen Dingen scheitern müssen: Dem Versuch, die Leere im Leben zu füllen, das Heischen um Anerkennung nicht nur durch die Unmengen an Geld aufzuwiegen.


DIE FLOP 5 FILME 2015:

1. Dämonen und Wunder – Dheepan
Der Sozialrealismus, der dokumentiert, wie die Zweckgemeinschaft zur Familie heranreift, wie sie sich näher untereinander kommt und sanft einer Vereinigung verschreibt, die sich über Vertrauen und Verantwortung klarlegt, beißt sich zusehends mit der stilistischen Genre-Mixtur, in der Audiard Rache-Thriller, Schicksalsdrama und sogar Anleihen zum Western kombiniert.

2. Ant-Man
Wie der Film der Gigantomanie vorheriger Superhelden-Krawallorgien entgegenwirkt, in dem er sie im Finale durch ein Höchstmaß an Ironie torpediert, entlockt schon ein ehrliches Schmunzeln. Ansonsten aber bleibt „Ant-Man“ ein laues (Miniatur-)Lüftchen, befreit von Ecken und Kanten und morgen schon wieder vergessen.

3. Horns
Horns“ ist letztlich nichts Ganzes und nichts Halbes, nicht Fisch und schon gar nicht Fleisch – Vor allem aber ist er aufgrund der Absenz einer narrativer Balance ein erschöpfend unrundes, ungreifbares und in sich kaum stimmiges Unterfangen, welches letztlich nicht über den Standard einer weinerlichen, handzahmen und glattgebügelten Young-Adult-Parabel hinausgeht.

4. Marvel's The Avengers – Age of Ultron
Marvel, und das ist nach dem wirklich gelungenen „The Return of the First Avenger“ sehr schade, erstickt an seiner Formelhaftigkeit, an seiner lächerlichen Risikoscheu, an den Hemmungen, etwas in die Waagschale zu werfen und womöglich auch mal Facetten an den omnipotenten Karikaturen namens Iron Man und Co. aufzuzeigen.

5. American Sniper
Dass rechtspopulistischer Hirnschiss wie „American Sniper“ in den Vereinigten Staaten schon jetzt zum Box-Office-Phänomen gekürt wurde und ein Einspielergebnis erzielt, welches sonst nur Superheldenadaptionen vorbehalten ist, spricht wohl für sich.


GEHEIMTIPPS AUS DEM JAHR 2015:

Heart of a Lion
Heart of a Lion“ stellt die Liebe selbst als Chance auf eine Katharsis aus, und wenn man als Zuschauer nur einmal in seinem Leben erfahren hat, wie extrem es um die Macht der Liebe bestellt ist, der weiß, inwieweit man sich für einen Menschen verändern würde, nur damit dieser sich nicht irgendwann abwendet.

Backcountry – Gnadenlose Wildnis
Backcountry – Gnadenlose Wildnis“ zeigt kein Interesse daran, Allgemeinplätze des Backwood- respektive Survival-Horrors abzugrasen, sondern erzählt vielmehr davon, wie es ist, wenn von der Gesellschaft eindeutig festgelegte Attribute der Geschlechteridentitäten mit der Urgewalt der Wildnis kollidieren.

Los Ángeles – Der Preis ist ein Leben
Die naturalistische Milieu-Etablierung als von Religion und Gewalt geprägtes Sittengemälde folgt einem rigorosen Umfang an Authentizität: Wenn „Los Ángeles“ eine Sache ist, dann wohl wahrhaftig.


10 MOST WANTED FILME 2016:

The Revenent – Der Rückkehrer
The Hateful Eight

Independence Day 2: Wiederkehr

The First Avenger: Civil War

Star Trek Beyond

Creed – Rocky's Legacy

X-Men: Apocalypse
The Jungle Book


DIE TOP SERIEN 2015:

Narcos
Im Endeffekt ist es die Relativität zwischen Gut und Böse, die „Narcos“ herausstellt – und einen besseren Ankerpunkt als Pablo Escobar kann man sich dafür nicht vorstellen.


DIE FLOP SERIEN 2015:

Scream
"Scream“ bewegt sich auf Soap-Opera-Niveau, alles ist unangenehm technisiert, ständig hat man das Gefühl, dass sich die Teenies ihr Handy nur vor die Nase halten, um den Lippenstift akkurat nachzuziehen – oder eben ihre Muskeln zu begaffen.


FAZIT:
Eigentlich ist man gewillt zu sagen, das Jahr 2015 ist ein, wie jedes andere eben auch: Es gab euphorisierende Höhen, es gab zermürbende Tiefen. Aber ganz am Ende des Jahres bewahrt das Kino sich noch einen Kracher mit „Star Wars: Das Erwachen der Macht“ auf, der entscheiden wird, ob wir wieder träumen dürfen, oder ob der Traum tatsächlich begraben werden sollte. Welch Bürde, für Film, für Jahr, für Filmfreund.
PS: Das Jahr hat sich gelohnt, die kindliche Abenteuerlust ist wieder hergestellt. 

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