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Der große Jahresrückblick der MB-Redaktion 2015

von Sebastian Stumbek

DIE TOP 10 FILME 2015:

1. Mad Max: Fury Road
Es gab dieses Jahr nur einen Film, der wahrhaft die Hölle lostrat und mit so viel Wucht und Pracht, Saus und Braus, Geschmetter und Gesplitter über die Kinoleinwände wütete. Eine furiose Achterbahnfahrt, direkt hinein in den dystopischen Schlund des "Wastelands", sandig, blutig, abgründig, pervers und wild. Mad Max: Fury Road ist der beste Actionfilm des Jahres, der beste Actionfilm des Jahrzehnts, einer der besten Actionfilme aller Zeiten und natürlich auch der beste Film dieses Jahres. Ein explosives Konzentrat aus allem, was Kino groß und furchterregend macht - and soon to be a classic.

2. Carol
Ein neugieriger Blick, ein schüchternes Lächeln, eine hauchzarte Berührung. Und dann, in der Silvesternacht: der erste Kuss. Selten hat ein Film es geschafft, eine Liebesgeschichte ehrlicher, unverfälschter, sinnlicher und vor allem universeller zu erzählen. In körnigen Bildern und von wundervoller Musik unterlegt, gelingt es Todd Haynes Carol genau die Zutat beizumischen, die für ein solches Kino ausschlaggebend ist: Zärtlichkeit. Die Liebe ist weder eine Qual, noch findet sie nur in pornographisch inszenierten Sexszenen Ausdruck. Nein, sie schwappt aus jedem Blick, jedem Lächeln und jeder Berührung. Sie vereinnahmt Film und Zuschauer, schließt uns in ihre behütenden Arme und klingt aus auf einer Schlussnote, so gewaltig und so wunderschön, dass mir kurzzeitig Herz und Atem stockten.

3. Was heißt hier Ende? - Der Filmkritiker Michael Althen
Ein wundervoller Diskurs über die Poesie der Filmkritik und zugleich ein rührendes, aber angenehm unsentimentales Charakterporträt über den viel zu früh verstorbenen Michael Althen. Zu keiner Sekunde ergibt Dominik Graf sich dem trockenen Regieduktus von Dokumentationen, sondern erzählt frisch, interessant, manchmal humorvoll und zu keiner Sekunde rührselig aus dem Leben eines Freundes und Filmkritikers. Stilistisch fühlte ich mich mehr als einmal an den großartigen Stories We Tell erinnert, dessen Poster lustigerweise ein paar Mal im Hintergrund zu sehen ist. Ein tolles, inspirierendes Erlebnis. Dieser Film zerschmilzt auf der Netzhaut.

4. Steve Jobs
Genie und Wahnsinn kollidieren in diesem hochkonzentrierten Künstler-Porträt: Steve Jobs ist ein brillantes Dialogfeuerwerk in drei Akten, ein fiebriger Rausch durch Kommerz und Kunst, einer der bestfotografiertesten Filme des Jahres und ein Werk in dem Regisseur und Drehbuchautor gleichermaßen ihre Handschrift wahren. iLike!

5. Inherent Vice
Weniger virtuoses PTA-Großwerk als nur ein neonbunter Strauß verschrobener Episoden, bewusst inkohärent an- und ineinander editiert, scheinbar ziel- und formlos, und doch stets von einer faszinierenden Magie durchströmt. Es ist aber nicht nur der überaus spezielle Humor des Thomas Pynchon, der den Film mit Leben erfüllt, es ist sein thematischer Kern. Im Zentrum demontiert Inherent Vice seine eigene, nur aus Namen, Zusammenhängen und komplizierten Verstrickungen bestehende Narrative und dreht sich um das Schönste und Simpelste auf der Welt: die Liebe. Wie die letzte Einstellung von "Any Day Now" in den Abspann überführt wird, ist außerdem einer der magischsten Momente des Kinojahres.

6. Ant-Man
Jay Bauman von Red Letter Media nannte Ant-Man "fabricated fun" und trifft damit den Nagel auf den Kopf. Über Disneys Verleihpolitik und Marvels Umgang mit den für ihre Filme engagierten Regisseuren muss wohl kein weiteres Wort verloren werden, aber ich hatte mit keinem Film dieses Jahr so viel Spaß wie mit Ant-Man. Nicht nur der Superheld selbst, sondern das ihn umgebene Universum, seine Mission und die Action ist kleiner skaliert als bei jedem vorigen Marvel-Film. Heraus kommt eine lockere Heist-Movie-Komödie, die sich mit dem Quatschkopf voran in ihre doofe Prämisse stürzt. Das Ergebnis ist aufregend, kreativ und irre lustig - ein Riesenhit.

7. Unknown User
Es ist vielleicht das wahnwitzigste und zugleich am wenigsten gewürdigte Filmexperiment des Jahres: Wenn die Kinoleinwand zum Computerbildschirm umfunktioniert wird und jede sich ergebende Möglichkeit aus dieser Prämisse herausgekitzelt wird, wenn Jugendliche fluchen und quatschen dürfen, ohne dabei wie Jugendliche imitierende Erwachsene zu klingen, wenn ein Kommentar über die Gefahren von Social Media gemacht wird, ohne sich dabei in verteufelnden Rentner-Plattitüden zu verlieren, und all das dabei auch noch äußerst spannend, witzig und manchmal dezent schaurig ist, dann kann es sich nur um den besten Horrorfilm des Jahres handeln.

8. Ex Machina
Ein kluges und dämonisches Kammerspiel, dem es tatsächlich gelingt, das Thema Künstliche Intelligenz so aufzubereiten, dass sich daraus spannender Thriller und hintergründiges Gedankenspiel ergibt. Enthält zusätzlich die beste Tanzszene des neuen Millenniums, gerade weil sie anfänglich groteske Komik provoziert, nur um dann von den letzten fünfzehn Minuten in einen zutiefst verstörenden Kontext gerückt zu werden. Kubrick hätte es gefallen. "I'm gonna tear up the fucking dance floor, dude."

9. Alles steht Kopf
Was Inside Out über Traurigkeit und Depressionen zu sagen hat, ist nicht nur im Genre des Animationsfilms, sondern im Film an sich geradezu revolutionär. Ein Film so hochintelligent wie er kunterbunt ist, den herzzerreißendsten Moment des ganzen Kinojahres beinhaltet, zum Weinen, zum Lachen, zum Staunen und zum Nachdenken bringt - Kinder wie Erwachsene. Der wichtigste Film, den Pixar je gemacht hat.

10. Mr. Holmes
Ein kleiner, feiner, ungemein starker Film, der sich seine Daseinsberechtigung in einer Zeit, die nicht noch mehr sherlocked sein könnte, dadurch rechtfertigt, dass er seiner titelgebenden Figur gänzlich neue Facetten abgewinnt. Das Ergebnis ist ein ruhiges, zutiefst emotionales Charakterporträt, symbiotisch verbunden mit einer spielerischen Kriminalgeschichte - und an der Spitze steht Ian McKellen, brillant und schillernd, eine große Legende in einem kleinen Film.

Positive Erwähnungen: Still Alice, Bridge of Spies, Selma, The Interview, Ewige Jugend, Erinnerungen an Marnie, Foxcatcher, Mistress America


DIE FLOP 5 FILME 2015:

1. Desaster
Als ich diesen Sommer, fassungslos von Kopf bis Fuß, die Pressevorführung von Desaster verließ und mich online auf die Suche nach ersten Stimmen zum Film machte, fiel mir folgender Satz in die Hände: "Justus von Dohnányi ist der deutsche Quentin Tarantino." Keine Pointe. Oder doch: Dies ist der Unfilm des Jahres, ein Manifest der Dummdreistigkeit, ein akuten Brechdurchfall verursachender Angriff auf alles, was das Kino und den deutschen Film je ausgemacht hat. Der Tag an dem jemand diesen abstoßend miesen Gangster-Ulk mit Tarantino in einem Atemzug genannt hat, ist der Tag, an dem unser blauer Planet ein bisschen dunkler, ein bisschen trauriger geworden ist.

2. Kingsman: The Secret Service
Wenn es in diesem Jahr einen Film gibt, dessen überschwänglich positive Rezeption mich am meisten befremdet hat, dann ist es wohl dieser hier. Matthew Vaughn verfilmt erneut ein Comic von Mark Millar und heraus kommt natürlich ganz furchtbar blöder Murks, der in seinem künstlich knallbunten Plastiklook nicht nur überaus billig und digital aussieht, sondern auch inhaltlich keinen Spaß zulässt. Vielmehr wird hier nur ein pubertäres Potpourri an Geschmacklosigkeiten aufgehäuft: Misogynie, Faschismus, Gewaltverherrlichung, alles abgesegnet durch den Parodie-Stempel, um die Boxershorts von 15-Jährigen zu nässen und ein paar Kinogänger zu grölenden Lachern zu animieren, weil sie den in your face ausgespielten Meta-Humor voll checken, ey.

3. Birdman
Was Alejandro González Iñárritu nicht mag: Schauspieler, das Theater, das Kino, Social Media, Kritiker, Superhelden und mich. Was Alejandro González Iñárritu mag: Lange Abende vor dem Spiegel mit dem eigenen Penis in der Hand. Birdman ist der Inbegriff von selbstverliebtem, arrogantem, überheblichem und prätentiösem Kunstgewäsch, so "up its own ass" und "full of itself", seinen Tracking-Shot so unerträglich ausstellend und so randgefüllt mit zornigen Monologen, dass nur Platz für Plattitüden und keiner für echtes Schauspiel bleibt. Der einzige Grund, warum Iñárritu nicht einfach ein Essay hätte schreiben sollen, über das wir dann alle herzlich gelacht hätten: Er hat uns Michael Keaton zurückgeschenkt.

4. The Visit
Ein Film, der selbst so verwirrt darüber ist, ob er nun Horror, Thriller, Komödie oder Drama ist, dass M. Night Shyamalan doch tatsächlich zugibt, dass mehrere Schnittfassungen existieren - jede auf ein anderes Genre zugeschnitten. Grauenvolle Schauspieler, dämlicher Humor, schlechte Schocker, der wohl unfähigste Einsatz von Found-Footage bis jetzt - und am Ende kriegt ein kleiner Junge eine volle Windel ins Gesicht gedrückt und wir sollen darüber lachen (oder sollen wir?). Ein Film wie gemacht für das Fantasy-Film-Fest.

5. American Sniper
Widerlich reaktionärer Dreck, der Chris Kyle, Lügner, Rassist, Serienmörder und großem Amerikaner, ein strahlendes Denkmal zu setzen gedenkt. Clint Eastwood erreicht darüber hinaus als Regisseur den Höhepunkt seines senilen Unvermögens: Selten wurde ein "BABY born"-Werbespot so müde und kraftlos in Szene gesetzt.


GEHEIMTIPPS AUS DEM JAHR 2015:

The Tribe
Triste, statische Bilder, ein eisig pfeifender Wind, kein einziges gesprochenes Wort: Das Gehörlosendrama von Miroslav Slaboshpitsky ist sperriges Grenzkino, der unbequemste Rausch des Jahres, ein Film direkt aus der Hölle.

The Voices
Ein sprechende Katze. Ein sprechender Hund. Ein tanzender Jesus. Ein brillanter Ryan Reynolds. Der perfekte Drahtseilakt zwischen Humor und Ernst. Eine Musical-Nummer am Ende. Anna Kendrick.

Housebound
Nach Unfriended der zweitcleverste Horrorfilm des Jahres. Neckischer Grusel trifft auf tiefschwarzen, neuseeländischen Humor - und am Ende dürfen Köpfe explodieren. Peter Jackson ist bestimmt stolz.


10 MOST WANTED FILME 2016:

The Hateful Eight
Hail, Casear!

Zoolander 2

X-Men: Apocalypse

Cemetery of Splendour

Anomalisa

High-Rise

The Jungle Book

Spotlight

Fantastic Beasts and Where To Find Them


FAZIT:
War jut.

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