Inhalt
Die junge Herrscherin Victoria muss erst ihr Metier erlernen. Auf Druck ihrer Umgebung soll sie sich für einen Mann an ihrer Seite entscheiden und schon vor der Thronbesteigung einiges von ihre Macht per Unterschrift abgeben. Die Versuche, die Prinzessin zu manipulieren, führen am englischen Königshof zum Eklat. Besonders mit ihrer Mutter kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen. Nach der Krönung wird eine Ehe mit Albert von Sachsen-Coburg und Gotha arrangiert. Albert und Victoria sind aber schon vor der Ehe ineinander verliebt. Kennengelernt hat das Paar sich bereits 1836 und beide verlieben sich ineinander.
Kritik
Sie sei eine Liberale, heißt es in einer Szene von der Titelfigur (Emily Blunt), die zum historischen Synonym für spießbürgerlichen Konservativismus werden sollte. Die gehässige Indignation, mit der so über die junge Victoria von älteren Hofschranzen getuschelt wird, etabliert plakativ die Situation am Hofe ihres Onkels König William (Jim Broadbent). Teenage rebel fights establishment. Das könnte witzig sein und ist es einige Male auch, allerdings unfreiwillig. Drehbuchautor Julian Fellowes, der mit Downtown Abbey die Historienseifenoper aus der Groschenromanecke geholt hat, erzählt die Ereignisse wenige Jahre vor und nach Victorias Krönung peinlich ironiefrei. Die Chance auf die Dramatisierung einer Charakterwandlung von der aufgeschlossenen Jugendlichen zur imperialistischen Monarchin wird vorsichtshalber von Anfang an ausgeschlossen, als wäre eine kritische Auseinandersetzung Majestätsbeleidigung. Die Königin auf der Leinwand ist und war immer grundgut und, implizieren die Schlusstitel, würde es für die nächsten Jahrzehnte sein. Ihr politisches Versagen während der Great Famine in Irland, Englands Kolonialismus, ihr Moralismus und ihr rigides Klassendenken, all dies würde der zarten Jungverliebten in den opulenten Kulissen niemand zutrauen.
Der kanadische Regisseur Jean-Marc Vallee (Dallas Buyers Club) deutet in seiner glatten Inszenierung nicht die kleinste psychologische Untiefe hinter der makellosen Fassade der Thronerbin an. Stattdessen betont der Plot ihre moralische Überlegenheit, indem er sie mit Intriganten und Opportunisten umzingelt. Entgegen der Pläne ihrer Mutter, der Duchess of Kent (Miranda Richardson), und deren Verbündeten Sir John Conroy (Mark Strong) muss Victoria ihren Thron verteidigen. Sowohl strategische Verbündete wie Lord Melbourne (Paul Bettany) als auch Gegner wie der Premierminister Sir Robert Peel (Michael Maloney) wollen sie manipulieren. Was die Protagonistin denkt oder ob, bleibt nicht nur dem Filmpublikum ein Rätsel: „Sieh dir ihr bescheidenes Köpfchen an. Wir alle fragen uns, was darin vorgeht“ Eines hat die junge Königin unübersehbar im Kopf: den deutschen Prinzen Albert (Rupert Friend). Er wird Victorias große Liebe, wohingegen der redegewandte Melbourne als Alberts zwielichtiger Konkurrent aufgebaut werden soll. Doch um damit zu überzeugen, ist der Charakter zu blass, wie die meisten Figuren auf dem königlichen Parkett. Wollen die Filmemacher den Charakteren einmal mehr Kontur geben, tragen sie gleich viel zu dick auf. So etwa bei dem karikaturesken Sir John Conroy. Düster gekleidet, noch düsterer blickend und von einzelnen Fliegen umschwirrt, steht er als mephistophelischen Ränkeschmied da.
Ähnlich schlecht kommt die Königinmutter weg. Dabei ließe ihre Verschwendung einige Spekulationen über die puritanische Gesinnung der späteren Victoria sowie deren kolonialistische Raffgier zu. Doch die fiktionalisierte Königin soll eine der Herzen sein. Darum spricht sie auf einer Kutschfahrt mit Lord Melbourne von sozialen Reformen. Davon gab es tatsächlich einige, aber nachhaltiger prägte das Viktorianische Zeitalter das Diktat von Respektabilität, Patriarchalismus sowie die Überzeugung von einer moralischen Überlegenheit der Oberschicht und einer rassischen Überlegenheit der weißen Engländer. Sieht man das Volk einmal demonstrieren, bleiben die Gründe dafür unklar. Der Pöbel weiß offenbar einfach nicht, wie gut es die Monarchin mit ihnen meint. So wird der aufmüpfigen Königin vom Schicksal eine Lehre erteilt, weil sie sich den Belehrungen konservativer politischer und familiärer Instanzen widersetzt hat. Als Folge dieses Vorfalls erkennt sie ihren Mann als ebenbürtigen Berater an. Die verdiente Würdigung als autarke Staatsfrau war den Filmemachern dann doch zu viel der Ehren.
Fazit
Als fiktive Geschichte wäre "Young Victoria" leidlich unterhaltsamer Kitsch. Doch dem selbst gestellten Anspruch auf Authentizität und dramaturgische Komplexität wird die seichte Abhandlung nicht gerecht.