Was als schlüpfriges Pornofilmchen gedacht war endet als „Goddamn Horror Picture“, als welches sich Ti Wests (The House of the Devil) X schlussendlich bekennt. Bereits die Grundprämisse seiner nuancierten Hommage an das Horror- und Pornokino der späten 70er Jahre bedient jegliche Retromanie: Eine Filmcrew reist im Jahr 1979 auf ein abgelegenes Farmhaus mitten im erzkonservativen Texas, um dort insgeheim einen Porno zu drehen, der ihnen allen zum heißersehnten Ruhm verhelfen soll. Was zunächst versaut und harmlos beginnt, wandelt spätestens beim Aufeinandertreffen mit den beiden Gastgebern, einem älteren, zurückgezogenen Ehepaar, in eine Spirale aus Terror. Das all das in blutiger Manier enden wird, nimmt die Eröffnungsszene bereits vorweg, in welcher eine Gruppe Polizisten die Überreste einer Bluttat in besagtem Farmhaus am nächsten Morgen finden, ehe wir 24 Stunden zurückspringen. X ist sich der Schablonenhaftigkeit seiner Story durchgehend bewusst und obwohl der Film seinen bekannten Mustern zu sehr huldigt als aus ihnen auszubrechen ist Ti West dennoch ein, im Kern, moderner Film gelungen, der die Kreation von Horror als verzweigt mit dem Erblühen von Sexualität begreift, ohne aber je in die Psychologie abzudriften.
24 Stunden vorher also macht sich ein Ensemble aus jungen, mehr oder weniger gescheiterten, Entertainern aller Art in ihrem Van auf den Weg in das Outback von Texas: Unter ihnen ist „der Star“, die selbstbewusste Maxine (Mia Goth, Suspiria), und ihr heißgeliebter Boyfriend und Manager der Gruppe, der erfolgsgeile Wayne (Martin Henderson, The Ring). Dazu gesellen sich die beiden anderen Akteure: Der erfahrene Jackson Hole (Scott Mescudi, Meadowland) und dessen (manchmal) Freundin, das Pinup-Girl Bobby-Lynne (Brittany Snow, Pitch Perfect). Hinter der Kamera und zuständig dafür, dass die ganze verruchte Angelegenheit auch im Kasten landet, befindet sich aufstrebender Filmemacher RJ (Owen Campbell, Super Dark Times), der einen eher „europäischen“ Ansatz für das pornografische Material finden will. Nach ihm können Pornos auch Kunst sein, und diese Neugier für visuelle Lust teilt auch bald seine Freundin, die zurückhaltende Kirchenmaus Lorraine (Jenna Ortega, Scream). Sie alle schreiten nun also los „The Farmers Daughter“ zu drehen, in welchem Jackson als umherziehender Fremder Maxine und Lynne als verruchte Bauerntöchter verführt.
Die frivole Gruppe wird kontrastiert mit dem erzkonservativen Land, welches als ihr Schauplatz dient. Texas wird von den körnigen 35mm Bildern des Filmes als schwül, trockene Einöde begriffen, welches durchzogen ist mit fundamentalistischer Religion. Beide Pole werden einander reiben und zu einem blutgetränkten Ergebnis führen. Horror als die Geburt eines Monsters aus jahrelanger Repression und unterdrückter Sexualität ist eine These, die zunächst ganz im Zeichen klassischer Slasher steht. Was X darüber hinaus in seiner eher modernen Denkweise auszeichnet ist der Fokus auf menschliche Sehnsucht, besonders die verzweifelte Eifersucht auf die Freiheit von Sexualität, wie auch auf das junge Fleisch. Ti West, dessen Filme schon immer einen nuancierteren Blick auf das Kino alter Tage warfen, als es fast all seine kontemporären Kollegen möglich wäre, stellt Horror und Pornografie gekonnt gegeneinander, was auch die Struktur des Filmes betrifft: Während der Film in seiner ersten Hälfte die Gruppe bei ihrem pornografischen Treiben zeigt, schlägt die zweite Hälfte des Filmes umso genüsslicher in den Szenen des Blutvergießens zu. Dabei klebt der Film etwas zu sehr an altbekannten Mustern und fühlt sich oftmals nahezu verpflichtet, sie bestätigen zu müssen, was besonders an der, vielleicht etwas zu hohen, Anzahl an Charakteren liegt, bei denen nicht jeder eine befriedigende Funktion erfüllt. Dennoch hat man bei West zumindest nie das Gefühl, er müsse einen bekannten Stoff für kontemporäre Sehgewohnheiten aktualisieren, was dazu führt, dass sich X nie abgehoben prätentiös anfühlt. Genau wie RJ einen Kunst-Porno drehen will versteht West das selbst der schmutzigste Horror auch Kunst sein kann, ohne aber sich dies arrogant auf die Stirn zu schreiben.