Slasher-Horror und Mainstream-Techno teilen sich ein schweres Schicksal: Jede Kinogänger:in erwartet die Morde, den Horror und wollen dabei in einen Bereich des dunklen Abgrunds der Menschen hineinblicken, genauso wie Clubgänger:innen in einem Mainstream-Techno-Track die wummernde Bassdrum, die einprägsame Bassline und die Hi-Hat über ihre Ohren und ihren Körper hören und spüren wollen. Beide Genres haben durch den repetitiven und strukturierten Einsatz ihrer Kernelemente an Spannung und Freiheit in ihrer Ausführung mit der Zeit eingebüßt.
Umso mehr werden einige Zuschauer:innen verwundert sein, wenn Regisseur Ti West diesen Zustand aufbricht und im 1979 spielenden X damit beschäftigt ist, in der ersten Hälfte eine bedrohliche, suspekte Atmosphäre auf einer abgelegenen Ranch in Texas zwischen einer sechsköpfigen Softporn-Filmcrew und einem dort ansässigen, frommen, über neunzigjährigem Ehepaar aufzubauen. Während die Schauspieler Maxine Minx (Mia Goth), Bobby-Lynne (Brittany Snow) und Jackson Hole (Scott Mescudi) und vor allem der Kameramann RJ (Owen Campbell) einen anspruchsvollen, „avantgardistischen“ Pornofilm produzieren und sich einen Namen damit machen wollen, leben der zweifache Kriegsveteran Howard und seine Frau Pearl ein abgeschiedenes Leben. Sie wirkt gezeichnet von ihrer Sehnsucht nach einer Bindung, die sie über die meiste Zeit ihres Daseins nicht haben konnte oder durfte.
The stage is set...
Beide entdecken nur über unheimliche Umwege den Sinn und Zweck des temporären Aufenthalts der Filmcrew. Howards Bedürfnis nach Ruhe und ihr Bekenntnis zur Religion, das durch Fernsehausschnitte über einen Televangelisten symbolisiert wird, stoßen auf die grenzenlose, sündhafte Lust, was den Initialfunken für einen blutreichen Konflikt erzeugt. Sobald die Filmcrew es sich gemütlich gemacht hat und mit ihrer Arbeit beginnt, fängt West an wie ein DJ zu operieren: Auf dem einen Deck hat er die pornografischen Elemente und die Chemie innerhalb der Crew und auf dem zweiten Deck das Texas Chainsaw Massacre, in diesem Fall mit einer Schrotflinte als Abschreckungswaffe. Mit nahtlosen Crossfades wechselt er immer wieder zwischen beiden Parteien: Zeitweise kann eine Partei die andere heimlich beobachten, bisweilen auf Körperkontakt heranrücken oder ein bevorstehender Tod wird kurz und simpel angetäuscht. Mit der düsteren Musik und dem beständigen, akustischen Einhämmern baut sich währenddessen der Druck mehr und mehr wie in einem Teekessel auf.
... and action!
Der Kessel pfeift und im Klimax prallen einerseits die Sex-Ambitionen und andererseits die aufkommende Lust nach Mord aufeinander. Der Druck entweicht, die Slasher-Halbzeit beginnt und der brutale, raue Beat wird ab dann wie in Techno-Manier bewusst heraus- und wieder hineingemischt. Der Höhepunkt markiert den Moment, in dem die Gewalt die Erotik als Antriebskraft ersetzt und der klischeehafte Porno-Dialog geschmeidig in den klischeehaften Horror-Dialog wechselt, was den Unterhaltungsfaktor nochmal steigert, der sich aber auch der vorhersehbaren Abhandlung aller involvierten Akteure fügen muss. Dies ist wohl der Preis für eine respektvolle Parodie von beiden Genres. Die Tode sind gewohnt schaurig, widerlich und besonders ein makaberer Match Cut wird mir in Erinnerung bleiben.
X fühlt sich wie eine Mischung aus dunklem Ambient und feingetakten Mainstream-Techno an, das anfangs einen langsam in der brodelnden Atmosphäre mitschwimmen lässt und dann erwartungsgemäß ordentlich knallt, sobald der Schalter umgelegt wird. Doch um die schön eingefangene Stimmung komplett zu erfassen, muss man etwas Geduld mitbringen und vor allem die stereotypische Verbindung Horror-Mord bzw. Techno-Beat außen vor lassen. Beides kommt gewiss, aber der Weg dahin ist bekanntermaßen das Ziel.