Noch vor William H. Bonney alias Billy the Kid dürfte Wyatt Earp die wohl am häufigsten portraitierte, reale Figur des Wilden Westens sein und keine dieser Darstellungen kam ohne die legendäre Schießerei am O.K. Corral vom 26. September 1881 in Tombstone, Arizona aus. Erstmals wurde der Stoff im Jahr 1946 mit Faustrecht der Prärie von John Ford für die Kinoleinwand adaptiert und verlässlich folgte in jedem Jahrzehnt mindestens eine weitere Version der Geschehnisse, anderweitige, popkulturelle Adaptionen und Zitierungen gar nicht erst mitgezählt. In den 90er Jahren folgten zwei hochbudgetierte Produktionen direkt aufeinander, was in der Regel zu einem klaren Gewinner-und-Verlierer-Szenario führt. Kevin Costner, dank seines mit Preisen überschütteten Epos Der mit dem Wolf tanzt quasi zum Messias des modernen Western ausgerufen, sollte den legendären Gesetzeshüter ursprünglich in Tombstone (1993) spielen, lehnte die Rolle jedoch ab, da ihm das Drehbuch nicht zusagte. Wie es der Titel schon unmissverständlich klar machte, behandelte der Film ausschließlich die Ereignisse in Arizona und war mehr an Unterhaltung als an einem ausgiebigen Biopic interessiert. Ein eben solches schwebte Kostner vor, weswegen er gemeinsam mit Regisseur Lawrence Kasdan (Silverado) ein entsprechendes Skript verfasste. Wyatt Earp – Das Leben einer Legende kam ein halbes Jahr nach dem allgemein gut aufgenommenen Tombstone in die Kinos – und zog eindeutig den Kürzeren.
Sowohl an den Kinokassen als auch bei der Kritik blieb man hinter den Erwartungen und insbesondere der direkten Konkurrenz zurück. Sogar so weit, dass der Film für 5 Razzis nominiert und mit zwei der Schmähpreisen ausgezeichnet wurde. Als „schlechteste Neuverfilmungen/Sequel“ und Kevin Costner für seine darstellerische Leistung. Grundsätzlich sollte man diesen „Award“ natürlich nicht ernst nehmen, in diesem speziellen Fall ist es aber ein besonders schwerer Fall von haltlosem Bashing. Der Film hat eindeutig seine Probleme, das größte liegt allerdings in seinen hochgesteckten Ambitionen, gepaart mit dem unglücklichen bzw. eher extrem ungeschickten Timing. Schließlich war man sich sehr bewusst, dass man in direkte Konkurrenz geht und dabei mit dem Anspruch, die „bessere“, „bedeutendere“ Version anzubieten. Hochmut kommt vor dem Fall. Für sich genommen ist Wyatt Earp – Das Leben einer Legende aber weit entfernt von einem schlechten Film, erreicht aber auch nicht das Niveau, das ihm wohl vorschwebte.
Stattliche 190 Minuten gönnen sich Lawrence/Kostner, um die Figur hinter der Legende näher zu beleuchten. Was sie aber leider kaum tun. Die auf den ersten Blick erschlagende Laufzeit gestaltet sich zwar erfreulich wie erstaunlich kurzweilig, dafür wird die erste Hälfte aber auch im Affenzahn gerusht. Wyatt war auch mal ein Kind, hatte ein autoritäre, aber moralisch integre Vaterfigur (Gene Hackman, schnell verdientes Geld), heiratet, trauert, säuft, kommt aus der Spur und fängt sich wieder – und dann sind wir kurz nach dem ersten, echten narrativen Stopp in Dodge City doch wieder in Tombstone, wo sich dann die restlichen 90-100 Minuten abspielen. Wie in praktisch jeder anderen Adaption des Stoffs, aufgrund von Größe und Produktionsvolumen natürlich etwas ausgiebiger und hochwertiger produziert. Bringt uns dieses dreistündige Mammutwerk den so oft dargestellten Westernhelden als Person näher als zuvor? Die ernüchternde Antwort lautet leider nein. Bis auf einige biographische Eckdaten ist das mehr oder weniger der Wyatt Earp, den wir schon seit 50 Jahren präsentiert bekommen. Weder er noch die zahlreichen Nebenfiguren bekommen eine detaillierte Charakterzeichnung spendiert, sie erfüllen nur ihren Zweck. Dabei wäre ja genug Zeit vorhanden, aber anstatt sich mal auf die Figuren zu konzentrieren, werden lieber die Ereignisse ausführlicher gezeigt. Dabei gibt es hier so viel spannendes Potential. Sei es der charakterlich durchaus nicht so astreine Protagonist und in diesem Kontext ganz speziell die Frauenfiguren, aber das wird nur nebenbei angerissen, anstatt es in über drei Stunden (!) mal wirklich zu vertiefen.
Als Biopic – und das soll es ja vermutlich sein – kann der Film daher wirklich ein Stückweit als gescheitert betrachtet werden, als bildgewaltiges Westernepos macht er natürlich trotzdem einiges her. Die Oscar-nominierten Bilder von Owen Roizman sind teilweise atemberaubend schön und auch wenn der Cast verschwenderisch eingesetzt wird (Isabella Rossellini – nur wegen der Nase?!), es mangelt da natürlich nicht an Qualität. Highlight ist mal wieder - wie auch in Tombstone mit Val Kilmer - die Rolle des Doc Holliday, diesmal verkörpert von Dennis Quaid (Midway – Für die Freiheit). Das ist einfach großes Kino und kann mit seiner teilweise packenden Dramaturgie wie der wirklich imposanten Inszenierung mühelos für gute Unterhaltung sorgen – aber eben eher Genre-bezogen. Und das war wohl nicht der Anspruch, oder anders formuliert: wieso musste er dann unmittelbar nach einem Tombstone erscheinen, der diesen Markt schon erstklassig bediente? Wer diesen Film völlig isoliert von allen anderen Adaptionen betrachtet, wird damit bestimmt viel Freude haben. Kann sich an den beschriebenen Kritikpunkten stören, aber bekommt ja trotzdem noch einiges geboten. Aber mit einem Tombstone im direkten Vergleich erzählt er praktisch nichts Neues bzw. konzentriert sich viel zu wenig auf die Aspekte, die ihn von dieser – oder praktisch jeder anderen Adaption – entscheidend abheben würden. Tombstone konnte man vorwerfen, dass dieser gen Ende viel zu sehr aufs Gaspedal drückte, um in einer handelsüblichen Laufzeit zu bleiben. Aber der wollte auch keine vollständige Lebensgeschichte erzählen und kein lupenreines Biopic darstellen. Dieser Film schon. Und das schafft er nicht. Es ist nicht der eine. Er ist ein weiterer. Trotzdem ein recht guter.