Drogenbaron und FBI-Informant - und beides schon als Teenager. Die Geschichte des Jungen Rick Wershe Jr., der bis 2017 seine knapp 30-jährige Haftstrafe abgesessen hat, klingt schon auf dem Papier ziemlich unglaublich. Das Drehbuch zu White Boy Rick, verfasst von Andy Weiss (Middle Men), Logan und Noah Miller (Sweetwater), erlangte vor einigen Jahren nach seiner Fertigstellung direkt einiges an Aufmerksamkeit und galt 2015 als eines der gefragtesten Scripte auf der Blacklist, wo all jene Arbeiten aufgeführt werden, die bis dato unverfilmt blieben. Mit einigen Top-Stars im Gepäck nahm sich Regisseur Yann Demange ('71: Hinter feindlichen Linien) schließlich kurz darauf der Verfilmung des Stoffs an, entstanden ist ein gelungener Mix aus Familiendrama und Drogen-Thriller.
Im Zentrum des Geschehens steht ein 14-jähriger weißer Junge, der in einem ärmlichen Viertel Detroits in einer kaputten Familie aufwächst. Die Mutter ist schon früh abgehauen, die Schwester ist ein Junkie, die mit den falschen Typen verkehrt, der kriminelle Vater, der stets ein paar krumme Sachen dreht, ist mit der Erziehung sichtlich überfordert. Newcomer Richie Merritt meistert seine erste Rolle als angehender Kleinganove glänzend, denn zum einen steht ihm die jugendliche Unschuld ins Gesicht geschrieben, zum anderen nimmt man ihm die Gangster-Attitüde locker ab. Bemerkenswert ist, dass sich solch ein Milchbubi in der kriminellen Szene durchsetzen konnte, die in jenen Vierteln vor allem von Schwarzen dominiert wurde. Der Film schafft es leider nicht immer, diesen Aufstiegsprozess nachvollziehbar darzustellen, da er gelegentlich zu sprunghaft vorgeht, glücklicherweise wissen das die gut gezeichneten Charaktere wieder auszugleichen.
Noch besser funktioniert der Film als Familiendrama. Auch wenn viele Situationen, die vor allem den lockeren Umgang mit Waffen beinhalten, fast schon absurd wirken, schafft es White Boy Rick, die schwierige, zerrissene Familiensituation interessant und glaubhaft zu porträtieren. Dass Vater und Sohn in ihrem Umfeld eine Menge Schaden angerichtet haben, wird dabei ebenfalls ungeschönt dargestellt: Der Vater zerstört mit dem Verkauf von Waffen Leben, der Sohn tut es mit der Verbreitung von Drogen. Kurioserweise sieht jeder den Fehler des anderen, redet sein eigenes Handeln aber schön. Das mag abstoßend sein, dennoch sind es Menschen, die im Film durch ihre gegenseitige Liebe und ihren familiären Zusammenhalt gleichzeitig auch Mitgefühl erzeugen, beispielsweise wenn Rick mit seiner unvorhergesehenen Vaterschaft konfrontiert wird, oder wenn die Schwester aus ihrem Loch gezerrt wird, um sie wieder clean zu bekommen. In solchen Momenten weiß der Film gekonnt auf emotionaler Ebene zu punkten.
Das tut er auch, da sich der gesamte Cast mächtig ins Zeug legt und seinen Figuren viel Leben schenkt. Vor allem Matthew McConaughey (True Detective) kann als zermürbelter Familienvater gewohnt stark aufspielen, mit Jennifer Jason Leigh (The Hateful Eight), Bruce Dern (Nebraska), Piper Laurie (Carrie) und Bel Powley (The Diary of a Teenage Girl) gesellen sich noch eine Reihe weiterer Hochkaräter hinzu, die White Boy Rick positiv abrunden und über den ein oder anderen kleinen Stolperstein im erzählerischen Aufbau hinweghelfen. Was man über den Fall nun halten mag, darüber soll sich jeder selbst ein Bild machen. Auf der einen Seite haben wir einen Teenager, der vom FBI ausgenutzt und schließlich fallengelassen wurde, als er nicht mehr gebraucht wurde. Auf der anderen Seite haben wir hier einen Kriminellen, der seine Laufbahn letztendlich selbst eingeschlagen hat. Ob das lebenslange Hafturteil für Drogenbesitz nun gerechtfertigt war? Mehr, als jemand für Mord bekommen hätte? Eine der spannenden Fragen, mit der man sich nach Sichtung von White Boy Rick noch beschäftigen kann.