Das lässt sich mit Fug und Recht als ein Karrierestart nach Maß bezeichnen: Für seinen Debütfilm - die Adaption des 1962 uraufgeführten Bühnenstücks von Edward Albee - sahnte Mike Nichols (Die Reifeprüfung) sagenhafte 13 Oscar-Nominierungen ab, darunter selbstverständliche alle Königsdisziplinen. Am Ende ging er selbst leer aus, neben den Auszeichnungen für Beste Kamera, Bestes Szenenbild und Bestes Kostümdesign durften immerhin Sandy Dennis (Fieber im Blut) als Beste Nebendarstellerin und – zum zweiten Mal nach Telefon Butterfield 8 - Elizabeth Taylor als Beste Hauptdarstellerin die begehrten Trophäen entgegen nehmen. Für ein Erstlingswerk immer noch eine beeindruckende Würdigung und gleichzeitig stellvertretende für das damalige Umdenken in Hollywood, nicht mehr nur angepasstes und bequemes Kino ohne Ecken und Kanten in den Mittelpunkt zu rücken (ein Trend, der heute mal wieder dringend angebracht wäre).
-„Es gibt keine Scheußlichkeit, für die du keinen Preis verdienst!“
-„Ich schwöre dir, wenn du vorhanden wärst, würde ich mich von dir scheiden lassen!“
Es ist zwei Uhr am Morgen und das ist fast noch das Netteste, was Martha (Liz Taylor) und George (Richard Burton; Der Schrecken der Medusa) sich in den folgenden Stunden an den Kopf werfen werden. Normale Menschen – damit haben die beiden offenbar nicht mehr viel gemeinsam – würden jetzt endlich ins Bett gehen, doch die Nacht hat erst begonnen. Nach einem von Martha‘s Vater (als Leiter der Universität nebenbei der Vorgesetzte von George) gegebenen Empfang erwarten sie spontan noch Gäste. Der junge, neue Biologieprofessor Nick (George Segal; 2012) und seine naiv wirkende Gattin „Honey“ (Sandy Dennis), die von Martha zum Schlummertrunk geladen wurden. Oder vielmehr, um dem üblichen Kleinkrieg zur später Stunde die gewisse Würze zu verleihen. Zumindest Nick kommt sich schnell vor wie im falschen Film. Gefangen in einem Schützengraben zwischen zwei immer weiter außer Kontrolle geratenen Irren, die sich nach allen Regeln der Kunst gegenseitig zerfleischen. Schlimm genug, doch bevor er es sich gewahr wird, sind er und Honey mehr als nur staunenden Zeugen dieses ehelichen Massakers, sie werden unmittelbar mit involviert und werden Stunden später auch nicht mehr die gleichen Menschen sein, die eigentlich nur noch einen Absacker nehmen wollten.
-„Du holst das Beste aus mir raus, Baby!“
-„Du kannst es aushalten. Dafür hast du mich geheiratet!“
Die ohnehin schon vergiftete Atmosphäre heizt sich minütlich weiter auf. Mit jedem der nicht mehr zählbaren Drinks lockern sich die Zungen weiter, werden zu scharfen Klingen die nach den hier scheinbar üblichen, verletzenden Seitenhieben tiefe Wunden aufreißen und sogar genüsslich Salz hineinstreuen, der zu erwartende Gegenschlag lässt nicht lange auf sich warten. Martha und George schießen selbst für ihre Verhältnisse einer über zwanzig Jahre schürenden Zwecks-Hass-Beziehung weit über das Ziel hinaus und reißen das bedauernswerte, weil (scheinbar) so unbekümmerte Sidekick-Pärchen tief mit in ihren Abgrund, den man selbst seinem schlimmsten Feind nicht wünschen mag. Sie werden zu Spielbällen, mit denen sich am Rande intim fast verbrüdert wird, nur um sie dann mit den eigenen Waffen ins Kreuz zu schlagen. Beinah grausam sadistisch, doch zu diesem Zeitpunkt ahnt noch niemand, dass dieses unkontrolliert wütende Unwetter eine beinah reinigende Wirkung haben wird. Nicht nur für Martha und George (Burton ist übrigens nicht minder famos als Taylor, vielleicht sogar besser), bei denen Hopfen und Malz verloren scheint, sogar für Nick und Honey, die sich ihrer unausgesprochener Konflikte bis dato gar nicht (aufrichtig) bewusst waren.
„Wollen sie Bums die Hausfrau spielen?“
Das unweigerliche Lachen über derart pechschwarze, sarkastische und tief-bohrende Wortgefechte, die nebenbei einen ungeschönten, äußerst zynischen Kommentar über das biedere Heile-Scheinwelt-Verständnis der Bilderbuchfamilie und der Institution einer Bis-das-der-Tod-und-scheidet-Ehe auskotzen, bleibt einem mehrfach im Halse stecken. Im Gegensatz zu dem vergleichbaren Der Gott des Gemetzels ist Wer hat Angst vor Virginia Woolf? nicht nur ein unterhaltsam-böses Fallenlassen gesellschaftskonformer Masken, es ist eine wahre Hinrichtung, die eine schmerzhafte Tragödie offenlegt. Was dieser schier endlose Nacht zugrunde liegt offenbart sich scheibchenweise und mit radikaler Wucht, was sie für ungeahnte Möglichkeiten bietet gibt diesem verbalen Blutbad ein Stück Hoffnung. Die Nacht hat irgendwann doch noch (endlich) ein Ende und mit ihr vielleicht auch eine bis auf die Spitze getriebenen und nun hoffentlich endgültig zu Grabe getragenen Lebenslügen dieser beiden Paare. Mit den ersten Sonnenstrahlen fällt auch ein zaghafter Blick in ein neues Leben durch die Fenster des Schlachtfeldes, da nun – auch auf die denkbar heftigste Weise – reiner Tisch gemacht wurde. Für Nick und Honey definitiv noch rechtzeitig, bei Martha und George ist die Prognose ungewiss. Das nächste Wochenende kommt bestimmt…