Inhalt
Auf kräftigen Gegenwind stößt die auf Wachstum und Investition ausgerichtete Lokalpolitik in dem beliebten Ostseebad Göhren auf Rügen, der Heimat des Filmemachers Christoph Eder. Als die letzte unberührte Küste bebaut werden soll und das einzigartige, malerische Naturschutzgebiet in Gefahr ist, regt sich deutlich der Unmut unter einigen Bürger*innen. Seit Jahren dominiert eine Gruppe von Männern, die „Vier von der Stange“ den Gemeinderat. Sie unterstützen sämtliche Projekte eines millionenstarken Bauinvestors aus Nordrhein-Westfalen, der dort nach der Wende so viele Hotels und Ferienhäuser baute wie kein anderer. Nadine und ihr Vater Bernd, engagierte Göhrener, erkennen schnell, dass sie nur gemeinsam mit Gleichgesinnten etwas ändern können. Sie gründen eine Bürgerinitiative und treten bei der Kommunalwahl an. Schaffen sie es, sich gegen das Geld und die Mächtigen zu stellen und ihr Dorf in eine andereZukunft führen?
Kritik
"Herr Horst kauft sich ein Dorf" - so betitelte "Die Zeit" einen 2016 erschienenen Artikel, den sie dem Ostseebad Göhren auf der Insel Rügen widmete. Herr Horst ist ein Investor aus NRW, der die Gemeinde nach der Wende für sich entdeckte, um Mietwohnungen, touristische Attraktionen und Parkhäuser zu errichten. Unterstützer versprachen sich dadurch Modernisierung und einen höheren Lebensstandard. Nicht ohne Konsequenzen: die Einwohnerzahl Göhrens reduziert sich drastisch, Wohngebiete werden eingehegt, Natur wird zerstört. Die Anwohner der Gemeinde erkennen ihre Heimat von Jahr zu Jahr weniger und zunehmend beschleicht sie der Eindruck, es gehe kaum noch um das Gemeininteresse, sondern um eigene Profitgier, sie beschleicht der Eindruck, ihr Dorf gehöre nicht mehr ihnen.
Dieser erlebte Heimatverlust, der durch Wachstumszwang obligatorisch wird, führt gerade in östlichen Bundesländern zu identitätspolitischen Unruhen. Regisseur Christoph Eder setzt jedoch nicht auf Sentimentalitäten, auch wenn er den Emotionen seiner Akteure Raum lässt. Stattdessen gräbt er nach den Ursachen dieses Entfremdungsgefühls. Im Zentrum seiner Betrachtung steht die Aushöhlung der demokratischen Teilhabe und wie es Herrn Horst teils durch politische Unterstützung, teils durch juristische Schlupflöcher gelingt, Göhren gänzlich umzustrukturieren. Dabei kommen auch versöhnlichere Perspektiven auf die massiven Investitionen des Privatmanns zur Geltung, was vor allem am Fokus des Filmes liegt, der diskursorientiert ist: private Erfahrungswelten, politische Konfliktlinien, Diskussionen in der Bürgerinitiative - all das findet in Eders Dokumentation Raum und bindet den Zuschauer an die Abläufe in Göhren.
Unterstützt wird dieser Eindruck von seiner Voice-Over-Stimme, die in die verschiedenen Szenen überleitet und persönliche Gefühle wie Erfahrungen zum Ausdruck bringt. Auf diese emotionale Grundierung kann das Werk bauen, wenn es sich immer stärker auf die sich bildende Bürgerinitiative und ihren kommunalen Wahlkampf konzentriert. Es ist eine besondere Stärke Eders, dass es ihm gelingt, uns Empathie für Lokalpolitik abzugewinnen, die an den Bedürfnissen der Menschen bleibt, ohne dem Kitsch zu verfallen, die Systemfragen stellt, ohne abstrakt zu werden. Wem gehört mein Dorf? baut einen Spannungsbogen rundum die Kommunalwahl auf, der gleichermaßen für Frustration und Hoffnung sorgt, der die Machtlosigkeit vor Lobbyismus und verhärteten Strukturen, aber auch die Ermächtigung durch das gemeinschaftliche Engagement verarbeitet.
Fazit
"Wem gehört mein Dorf?" gelingt es durch eine unaufdringlich emotionale Grundierung, dem Zuschauer Empathie für Lokalpolitik abzugewinnen und stellt Fragen nach der Aushöhlung bürgerlicher Teilhabe durch Profitinteressen. Gleichzeitig erweckt er ein Bewusstsein für die persönliche Lage der Anwohner Göhrens, die durch die touristisch orientierte Umstrukturierung nichts Geringeres verlieren als ihre Heimat.
Autor: Maximilian Knade