Inhalt
Die 1980er. Der kalte Krieg ist eisig wie eh und je, die Angst vor einem russischen Erstschlag allgegenwärtig, das Internet noch lange nicht zu einem globalen Netzwerk angewachsen und hacken eine Art Volkssport technisch interessierter Jugendlicher, die von den Garagen ihrer Eltern aus Regierungsseiten lahmlegen oder im digitalen Bankendschungel wüten. Inmitten dieser (beginnenden) technologischen Aufbruchsstimmung entschließt sich die US Regierung, nach einigen wenig zufriedenstellenden Stresstests, die Besatzung ihrer Raketensilos durch eine künstliche Intelligenz zu ersetzen, die den lieben langen Tag nichts anderes zu erledigen hat, als unendlich viele Erstschlagszenarien durchzuspielen, um im Ernstfall die gewinnbringendste Strategie parat zu haben. Mit eben diesem Computer (dem sogenannten WOPR – War Operation Plan Response) nimmt der Teenager David Lightman (Matthew Broderick in seiner ersten Hauptrolle), im festen Glauben sich in den Rechner einer Spiele-Entwicklungsfirma eingewählt zu haben, Kontakt auf. Nach tagelangen Recherchen gelingt es dem Jugendlichen eine verborgene Hintertür im System zu öffnen, die der Entwickler Dr. Stephen Falken (der 2011 verstorbene Engländer John Wood, der u.a. in „Chocolat“ zu sehen war) Jahre zuvor angelegt hat. Ohne sich der Konsequenzen seiner Tat bewusst zu sein startet David, gemeinsam mit seiner Freundin Jennifer Mack (Ally Sheedy aus „Breakfast Club“ ebenfalls in ihrer ersten größeren Rolle), das Spiel „Global Thermonuclear War“ und löst damit eine Kette von Ereignissen aus, die die Welt an den Rand ihres Untergangs treibt.
Kritik
The only winning move is not to play
Da die 80er Jahre des letzten Jahrhunderts sowohl in filmhistorischer als auch qualitativer Hinsicht ein ungemein ergiebiges Jahrzehnt verkörpern, stellen dessen bekannteste Vertreter auch noch dreißig Jahre nach ihrer Erstaufführung die ein oder andere aktuelle Produktion in den Schatten. Neben einigen der markantesten Actionfilme die je gedreht wurden („Stirb Langsam“, „Lethal Weapon“, „Rambo“) und einigen der einflussreichsten Horrorproduktionen aller Zeiten („A Nightmare on Elm Street“, „Poltergeist“, „The Evil Dead“), entstanden in dieser Periode auch etliche wegweisende Jugendfilme, die den vorherrschenden Zeitgeist der damaligen Heranwachsenden perfekt einfangen und dadurch für die Nachwelt konservieren konnten. Neben High-School-Komödien wie „Ferris macht blau“ und „Breakfast Club“, waren es vor allem Genrepotpourris wie „The Goonies“, „Gremlins“ und „Zurück in die Zukunft“, die – besser als jede Dokumentation – Kleidungsstil, Technikverständnis, Weltbild und Zukunftsvorstellungen der 80erJahre ungefiltert auf Zelluloid bannten. Im Fall des Anfang Dezember 2012 als Blu-ray neu aufgelegten Endzeit-Klassikers „WarGames“ von John Badham („Das fliegende Auge“) verdickt sich eine explosive Mischung aus Erstschlagszenario, Hackerphantasie und Kalter Krieg Paranoia zu einem ebenso spannungsgeladenen wie leichtfüßig inszenierten (Jugend‑)Thriller über die fortschreitende Computerisierung unserer Gesellschaft und deren Folgen, der bis zum heutigen Tag Nichts von seiner Brisanz verloren hat.
Das „WarGames“ auch noch drei Jahrzehnte nach dessen Uraufführung über knapp 120 Minuten zu fesseln vermag, liegt sicherlich zu einem Großteil an dem unleugbar nostalgischen Charme den diese Produktion, vor allem durch ihre detailgetreue Ausstattung und realistische Setting-Auswahl, verströmt. In Kombination mit den augenzwinkernden Querverweisen auf die ersten Gehversuche einer neuen digitalen Generation und damit auch auf die Anfänge der Hacker-Subkultur an sich, wird aus dem 12-Millionen-Dollar-Thriller ein kleines Stück Zeitgeschichte. Neben einem Wiedersehen mit 8‘‘-Disketten als Speichermedien, einem IMSAI 8080 als Heimcomputer und einem Telefonmodem als Verbindung ins Netz, sind es vor allem die Anwendung von Hackertricks wie Wardialing (zur großflächigen Suche von schlecht gesicherten Systemen) und Phreaking (zur Manipulation von Telefonverbindungen), die den nachhaltigen Unterhaltungswert von „WarGames“ ausmachen.
Dabei stand die Produktion des 1983 veröffentlichten Films anfänglich unter keinem guten Stern. Ursprünglich sollte nämlich nicht John Badham sondern Martin Brest („Beverly Hills Cop“) bei „WarGames“ Regie führen. Dieser wollte den Film jedoch als düsteren Verschwörungsthriller anlegen, woraufhin es zu kreativen Differenzen mit den verantwortlichen Produzenten von UA und MGM kam und Brest bereits nach zwölf Drehtagen die Flinte ins Korn warf. Daraufhin sprang kurzfristig John Badham, der bis zu jenem Zeitpunkt seinen größten Erfolg mit dem 70er Jahre Straßenfeger „Saturday Night Fever“ feiern konnte, als Troubleshooter ein. Dieser war es auch der „WarGames“ jene Portion Leichtigkeit mit auf den Weg gab, die bei Teenagerfilmen dieses Jahrzehnts zum Standardrepertoire zählte. Denn trotz seiner durchaus ernsthaften Grundthematik und einer konstanten Bedrohung durch den möglichen Ausbruch des dritten Weltkrieges, ist „WarGames“ schlussendlich doch ein familientaugliches Feel-Good-Movie, dessen schönste Momente irgendwo zwischen illegal verbesserten Schulnoten und scheinbar endlosen Tic Tac Toe Partien liegen. Gerade diese filmische Balance zwischen Ernsthaftigkeit und Spieltreib, Hitzköpfigkeit und Verantwortungsbewusstsein, Naivität und Mut hebt den Streifen, der auf einem Drehbuch von Lawrence Lasker und Walter Parkes basiert, von anderen damals ausgesprochen populären Weltuntergangsstreifen ab. Dadurch brachte es John Badhams Film auch, trotz einer durchaus vorhersehbaren Handlungsentwicklung und einigen ziemlich weichgespülten Hollywood-Standard-Sequenzen, auf drei Oscar-Nominierungen und ein Box-Office-Ergebnis von immerhin knapp 80 Millionen Dollar.
Darstellertechnisch ist „WarGames“ nur im Rückblick betrachtet ein Hollywood-Starvehikel. Der zum damaligen Zeitpunkt gerade einmal 20-jährige Matthew Broderick hatte erst in zwei kleineren Rollen Filmluft geschnuppert und agierte dementsprechend unsicher vor der Kamera. Ähnlich erging es auch der gleichaltrigen, bislang hauptsächlich in TV-Produktionen mitwirkenden Ally Sheedy. Im Nachhinein betrachtet macht jedoch gerade diese ungemein realistische Darstellung von Heranwachsenden, die, auf Grund einer Grenzen überschreitenden Extremsituation, über sich selbst hinauswachsen müssen, den Reiz dieser Produktion aus. Außerdem besetzten die Verantwortlichen schlussendlich zumindest die Nebenrollen von „WarGames“ mit gestandenen (TV-)Nebendarstellern wie Dabney Coleman („Tootsie“), Barry Corbin („No Country for Old Men“) und John Wood.
Fazit
„WarGames“ ist ein Retro-Thriller-Kleinod, das auch dreißig Jahre nach seiner Erstaufführung nichts von seiner damaligen Wirkung und Faszination eingebüßt hat und auf Blu-ray mit gestochen scharfen Bildern und (zumindest im O-Ton) mit kristallklarem DTS 5.1 Sound, viele aktuelle Produktionen alt aussehen lässt. Abgesehen von dem bereits zu erwartenden nostalgischen Charme, der viele 80er Jahre Streifen wie hartnäckiger Bodennebel umgibt, sind es vor allem die tolle Grundthematik, die leichtfüßige Regiearbeit und die sowohl realitätsgetreue als auch liebevoll in Szene gesetzte Ausstattung, die „WarGames“ von ähnlich gearteten Produktionen unterscheiden. Demzufolge verzeiht man als Filmnostalgiker auch den ein oder anderen vorhersehbaren Handlungssprung und das noch etwas unsichere Auftreten der beiden Hauptdarsteller und genießt den Film als überaus unterhaltsames, umsetzungstechnisch einwandfreies und thematisch zeitloses Feel-Good-Movie.
Autor: Christoph Uitz