Inhalt
In einem abgelegenen Tal in Island beobachten Nachbarn einander, als wäre Intimität die wertloseste Nebensache der Welt. Der erste offizielle Besuch von Kolbeinn bei der jungen Witwe Solveig wird folglich streng überwacht – aus Distanz und mit entsprechend vielen Ferngläsern. Solveigs Hengst Brúnn und Kolbeinns Stute Grána interessiert das wenig. Unter Beobachtung aller kommen die Isländer-Pferde zu genau der Sache, an die die frisch Verliebten kaum wagen zu denken.
Kritik
Als Islands Beitrag zum Auslands-Oscar möchte man meinen, „Von Menschen und Pferden“ sollte durchaus ein Publikum erreichen können, das über die eigenen heimischen Grenzen hinausgeht. Dass sich diese Vermutung verifizieren lässt, beweist eigentlich schon die erste Episode, die programmatisch für die Tonalität des Filmes steht: Kolbeinn (Ingvar Eggert Sigurðsson) versucht sein weißes Islandpferd zu satteln, um sich auf den Weg zur Nachbarin Solveig (Charlotte Bøving) zu machen. Es ist eine Geduld verlangende Prozedur, bekannt sind die Islandpferde ohnehin nicht zuletzt für ihr eigensinniges Gemüt, doch schon bald geht es im Trippelschritt, „Tölt“ genannt, auf zur holden Dame – um sich vielleicht auch in ihr Herz zu stehlen. Es hat etwas Amüsantes, wie dieser adrette Biedermann zu Pferd durch die rurale Landschaft flitzt, bis sich all das, was diese aufschneiderische Aktion über seine gesellschaftliche Identität aussagen sollte, mit einem Schlag in Luft auflöst. Auf dem Rückweg wird seine Stute von einem schwarzen Hengst besprungen, Kolbeinn dabei noch immer auf dem Pferd, den Akt in voller Demütigung ausstehend.
Und genau dieser Moment steht symptomatisch für die Klasse von „Von Menschen und Pferden“: Erzählt der Film – wie der Titel es doch postuliert – gleichwohl von der Beziehung zwischen Mensch und Tier, findet dabei aber auch in symbiotischer Wechselwirkung die erheiternde Absurdität in der schieren Traurigkeit. Benedikt Erlingsson, der mit „Von Menschen und Pferden“ sein Debüt abliefert, zuvor aber schon vor der Kamera tätig war (zum Beispiel in Lars von Triers „The Boss of It All“) beweist eine gehörige inszenatorische Feinjustierung in Bezug auf das Beziehungsporträt zwischen den Menschen und Pferden sowie den Menschen und Menschen: Erlingsson geht es weniger darum, eine klare hierarchische Ordnung zwischen beiden Parteien anzulegen, also klare Dominanzstrukturen an die Oberfläche zu tragen, sondern vielmehr ihre (gerne funktionelle) Interaktion aufzuzeigen. Nicht umsonst wird immer wieder ein sich über die gesamte Mattscheibe erstreckendes Pferdeauge in den Fokus genommen, in dem sich die die Umgebung reflektiert: Sehen wir das Pferd, dann sehen wir auch den Menschen.
Oftmals gewinnt man anhand dieser Einstellungen den Eindruck, dass Benedikt Erlingsson eine gewisse seelische Verschmelzung im Sinne hatte, um, wie in einem offenen Sozialkaleidoskop, einzelne Lebenslinien zu spiegeln und aus mehreren Blickwinkeln zu beleuchten. Die perspektivische Parallelität trägt daher auch nicht unwesentlichen Anteil am tragikomischen Anteil von „Von Menschen und Pferden“: Wie der Mensch auf das Pferd blickt, wie das Pferd den Menschen ansieht, immer wieder gelingt es Erlingsson, das Tragische im Komischen und das Komische im Tragischen zu entdecken und freizulegen. Man muss sich schon auf ein gutes Pfund Schrulligkeit einstellen, wenn man sich in dieses isländische Nirgendwo begeben will, in dem dann auch mal im Sommer die Schneeflocken vom Himmel rieseln, aber all diese regionalen Eigenheiten basieren auf einem doch sehr sensiblen Standpunkt: Erlingsson sieht den Menschen und das Tier immer in einem doch recht emotionalen Einklang, bei dem man letzten Ende doch immer auf der Suche nach Liebe, Akzeptanz und Leidenschaft ist.
Fazit
Der Schauspieler Benedikt Erlingsson beweist mit seinem Debütfilm „Von Menschen und Pferden“, dass man von seiner Person auch auf dem Regiestuhl in Zukunft noch einiges an Qualität erwarten kann. Sein episodisches Sozialkaleidoskop schwankt gekonnt zwischen Absurdität und Traurigkeit, besticht mit höchst kraftvollen Bildern und bleibt so sensibel, wie der seelische Einklang zwischen Mensch und Tier nun mal auch ausfällt.
Autor: Pascal Reis