Inhalt
Ann verfolgt das Auto ihres Mannes, beobachtet wie er eine andere Frau küsst. Im Dunkel verborgen, trifft sie einen Freund aus Kindheitszeiten auf der Straße. Eine seltsame Dualität nimmt ihren Lauf. Ann entfernt sich systematisch von ihrem Mann. Sie beginnt kategorisch ihr bisheriges Leben auf den Nullpunkt zu fahren, Handy, Appartement, Auto, Job, Konto aufzulösen. Gleichzeitig vertraut sie sich Georges an, dem Kindheitsfreund, den sie in dieser Nacht wie zufällig getroffen hat. Man spürt, dass es mehr gab als diesen flüchtigen Kuss ihres Mannes mit der anderen.
Kritik
Es ist aus, sagt Ann (Isabelle Huppert). Mehr Worte braucht es nicht für die entschlossene Heldin des markanten Porträts, das Benoit Jacquot in stimmigen Bildern entwirft. Annn beendet die erstickende 15-jährige Ehe mit Thomas (Xavier Beauvois), den sie heimlich mit einer fremden Frau beobachtete. Sie sagt ihre Tournee als Pianistin ab. Sie verkauft ihr bisheriges Heim, das mehr ein Gefängnis war. Sie kappt ihren Handyanschluss und löst ihr Konto auf. Die Hauptfigur beendet nicht nur eine Lebensepisode, sie kappt radikal ihre bisherige Existenz. Das führt der Regisseur in knappen, abrupten Szenen vor Augen, überdeutlich, wie es einige Momente in der diffizilen Adaption von Pascal Quignards Roman sind. Fast brutal wirkt die Radikalität von Anns Loslösung von ihrem alten Leben. Ann will ein neues Dasein, mehr noch, sie will jemand anderes sein.
Im Einklang mit der Entwicklung der zentralen Figur widmet das Drehbuch jedem Abschnitt dieser exemplarischen Selbstfindung einen Akt. Im Ersten löst Ann ihre bisherige Existenz auf, im Zweiten konstruiert sie schrittweise eine neue. Dabei unterstützt sie ihr Jugendfreund Georges (Jean-Hugues Angelade). Indem sie mit ihm abrupt wieder Kontakt aufnimmt, tritt Ann symbolisch wieder mit ihrem unterdrückten jugendlichen Ich in Berührung. Ihre innere Besinnung geht mit einer äußeren Veränderung einher. Unterwegs zu einem ungenannten Ziel, dass sich natürlich als die Villa Amalia entpuppt, wechselt sie ihre Kleidung und schneidet ihr Haar. Es ist der Verdienst der großartigen Isabelle Huppert, dass die teils gekünstelten Bilder für eine explizit weibliche Wandlung (neuer Look, neue Frisur) nicht ins Aufgesetzte abdriften. Ihr intensives Spiel verleiht ihrer Figur mehr Substanz, als die Story an sich hergibt. Die Reise endet in einem entlegenen Haus an der malerischen Küste von Ischia. In jenem kargen Idyll scheint Ann erstmals frei Atmen zu können. Nun bewegt sie sich nicht mehr wie von einem unbestimmten Zwang geleitet.
In der kargen Villa ist sie im wörtlichen Sinne un-befangen. So entfremdet ist sie zu Beginn ihrer wahren Natur, dass sie ihren Namen verloren hat. Ann Hidden ist das Pseudonym der Pianistin. Bis zu ihrem Aufbruch in die Ferne agiert Ann als Versteckte. Sie muss aus sich herauskommen, das machen die raue Szenen nachdrücklich klar. Erst als sie den Betrug ihres Ehemanns sieht, erkennt Ann, dass sie sich selbst um ihr Leben betrügt. Während die harten Schnitte weicher werden, zerfließen die Grenzen zwischen Realität und Imagination. Wieder und wieder versichert sich Ann, dass dies hier wahr sei, und verweist damit paradoxerweise auf die Flüchtigkeit des Wirklichen. Wenn die Protagonistin bei einem ihrer Ausflüge fast untergeht, droht auch die Szenerie in der überbordenden Symbolik zu versinken. Ihre Retterin Giulia (Maya Sansa) wird in doppelter Hinsicht zu einer Art Mittlerin zwischen dem Publikum und der mysteriösen Protagonistin. Um an ihrem Schicksal und der psychologischen Versuchsanordnung wirklich Anteil zu nehmen, kommt sie jedoch zu spät.
Fazit
Bravouröse Augenblicke erzeugen eine bestechende unwirkliche Stimmung, doch die Atmosphäre ist nie von Bestand. Die Struktur des Dramas bleibt brüchig, die Leistung der Hauptdarstellerin macht es dennoch sehenswert.
Autor: Lida Bach