Nur von den Zahlen her, war es nicht Christopher Nolan, James Bond oder Fast 9, die das US-amerikanische Kino aus dem coronabedingten Dornröschenschlaf rissen, sondern Venom: Let There Be Carnage. Satte 90 Millionen US-Dollar spielte die Fortsetzung am Startwochenende in den USA ein. Damit schlägt der schwarze, ölige Gallertklumpen, der am liebsten Gehirne verspeist, mühelos seine Konkurrenz und beweist außerdem, dass der erste Teil vielleicht doch kein Box-Office-Glückstreffer war.
Viel Häme und Vernichtung hat Ruben Fleischers Comicverfilmung von 2018 damals abbekommen. Zum einen verständlich, weil im Marketing (Stichwort: Altersfreigabe) so einiges schieflief. Zum anderen bestanden diese Meinungen auch oft nur aus Brüllreflexen, wie man sie von Plattformen wie Twitter eben kennt. Der erste Venom war kein Meisterwerk und gewiss reicht er auch nicht an die Vorlage und deren Eventualitäten heran. Aber es war ein unterhaltsamer Blockbuster-Snack mit einem furios und fabelhaft überschwänglich auftretenden Tom Hardy. Nichts was verehrt oder gehasst werden muss. Einfach nur ein Film.
Polemik wird sich das Sequel auch abholen müssen. Wer schon im ersten Teil nichts mit Hardys Darbietungseifer als Eddie anfangen konnte, wird bei Venom: Let There Be Carnage ganz sicher erst recht mit dem Kopf schütteln. Die Anzahl von Szenen, in denen Eddie mit dem Symbionten agiert, wurde im Vergleich zu Vorgänger noch einmal erhöht. Die beiden erinnern mit ihrem Gezanke und Sticheleien fast schon an ein altes Ehepaar. Früher waren es Jack Lemmon und Walter Matthau, heute Tom Hardy und Venom? Na ja, der Vergleich hinkt sehr, aber diese Interaktionen der beiden Hauptdarsteller ist oftmals erstaunlich amüsant. Das ist der Verdienst des Mad Max: Fury Road-Stars. Wer behauptet der Darsteller hätte keine Lust gehabt, hat Venom: Let There Be Carnage vermutlich gar nicht gesehen.
Jetzt ist es aber nun einmal so, dass Venom: Let There Be Carnage mehr auffährt als nur zwei Zankäpfel. Wie bereits der Vorgänger anteaserter und der Titel des Sequels klarmacht, bekommen es Eddie und Venom mit dem Serienkiller Cleetus (Woody Harrelson, Planet der Affen: Survival) zu tun, in dem sich ebenfalls ein Symbiont einnistet. Wer gehofft hatte, dass dadurch so eine Art böser Epigone entsteht, wird enttäuscht. Es wird zwar versucht Cleetus so etwas wie einen Charakter zu geben, das Ergebnis ist aber flach, austauschbar und fügt sich selten wirklich richtig in die Handlung ein. Sowieso ist es seltsam, dass Carnage und Cleetus ohne jegliche wirkliche Interaktion sofort ein Team bilden. Was wäre es vielversprechend gewesen, wenn das infernale Duo vor ähnliche Probleme gestellt wird, wie einst Eddie Brock und Venom, deren Beziehung hier einige Hürden überstehen muss.
Die Geschichte von Venom: Let There Be Carnage ist sehr kompakt und kurz. Was durchaus erfrischend ist, wenn man bedenkt, wie viel Zeit Blockbuster mittlerweile für (manchmal) nichts verplempern. Hier ist das anders. Mit großem Tempo und durchaus zielstrebig geht Regisseur Andy Serkis (Mogli: Legende des Dschungels) hier vor. Nach schlanken 90 Minuten kommt der Abspann (ja, sitzen bleiben!). Es ändert aber nichts daran, dass das Sequel storytechnisch noch weniger auffährt als Venom von vor drei Jahren. Das ist enttäuschend, immerhin wurde Killer Cleetus prominent im ersten Teil angekündigt und kurz vorgestellt, aber jetzt wirkt diese Figur uninteressant, konvertibel und vor allem ziemlich langweilig. Ob Carnage nun Cleetus oder dem Postboten begegnet wäre, so richtig einen Unterschied macht es nicht. Da hilft eine generische Liebesgeschichte nicht weiter, die dem Plot auch nicht mehr hinzufügt, als weitere unnütze Rollen, damit der Abspann länger und der Figurenkader für Nachfolger größer wird.
Dabei besäße der Film durchaus interessante Themen. Wie Andy Serkis in einem Interview verriet, sollte das Sequel eigentlich Love Will Tear Us Apart heißen, also genauso wie der ultimative Schlussmachsong der Postpunker von Joy Division. Der Titel würde sogar passen. Im Kern geht es in Venom: Let There Be Carnage um Trennung, alte und neue Wege. Wirklich etwas machen tut das Script, bei dem dieses Mal auch Tom Hardy beteiligt war, daraus aber nicht. Das Sequel weiß nicht wohin mit den eigenen Möglichkeiten und der Tonalität. Die schwankt munter hin und her – ohne Rhythmus, mit zu vielen Einflüssen, aber keiner wirklich durchgängig eigenen Identität. Das dürfte Sony aber vermutlich gefallen, denn die Bonusszene, die während des Abspanns kommt, macht deutlich, dass Venom ein Franchise ist und die brauchen keine Identität, die brauchen Content.