„It's a hell of a thing, killing a man. Take away all he's got and all he's ever gonna have.“
Unzählige Male schlüpfte Clint Eastwood (Million Dollar Baby) in die Cowboystiefel, zündet sich ein Streichholz an seinen Bartstoppeln an, um den Zigarillo im Mundwinkel zum Dampfen zu bringen und platzierte das Schießeisen schussbereit im Revolvergürtel, um den Armen, Hilflosen oder auch sich selber Gerechtigkeit zu verschaffen. Seine heutige Karriere von Weltruhm etablierte Eastwood mit der entschiedenen Hilfe des großen Filmemachers Sergio Leone (Für ein paar Dollar mehr) auf genau dieser kernigen Darstellung eines namenlosen Pistoleros, der sich im Angesicht von gesellschaftlichen, politischen oder persönlichen Missständen zu allem bereit zeigte. Irgendwann allerdings kommt die Zeit, in der man – mehr oder weniger – liebgewordenen Traditionen aufräumen muss, auch, um sich selber ein Stück weit von den damit verbundenen Stigmata zu befreien. Eine Zeit, in der Männer keine Männer mehr sein wollen.
Und genau dieses Vorhaben scheint Clint Eastwood mit Erbarmungslos, seiner 16. Regiearbeit, angetrieben zu haben. Wenn man so möchte, dann kann man Filme wie Ein Fremder ohne Namen, Pale Rider und Der Texaner, bei denen Eastwood als Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion auftrat, zweifelsohne als Prequels zu Erbarmungslos lesen, was dem mit 4 Oscar ausgezeichneten Spätwestern selbstverständlich eine nicht uninteressante Meta-Ebene zugesteht. Sicherlich ist es nicht in Eastwoods Sinne, seine Western-Vergangenheit in den Dreck zu ziehen, Erbarmungslos geht das Western-Sujet vielmehr mit dem Gedanken an, aufzuzeigen, dass sich die Zeiten zwangsläufig ändern und Menschen, die keine Bereitschaft dahingehend aufweisen, sich zu ändern, in der Zukunft nicht mehr bestehen können. Eastwoods Abgesang auf seine filmhistorische Vorgeschichte ist auch eine Entmythologisierung des Western und seiner verklärten Porträtierung auf der großen Leinwand.
Der von Eastwood wunderbar verbraucht, aber nicht würdelos gespielte William Munny ist quasi die konsequente Weiterentwicklung seiner vorherigen Western-Auftritte. Ein ehemaliger Revolverheld, dessen Ruf ihm meilenweit vorauseilt, der früher aufgrund seiner durchtriebenen Gnadenlosigkeit gefürchtet war, sich inzwischen aber auf eine Schweinefarm zurückgezogen hat und seit 11 Jahren keinen Schuss mehr auf einen Mann abgegeben hat. 11 Jahre, in denen er sich selber weismachen konnte, ein neuer Mensch zu sein. Durch seine inzwischen verstorbene Frau scheint er geläutert und den rechten Pfad für sich gefunden zu haben, hat er doch nicht nur dem Töten, sondern auch dem Alkohol abgeschworen. Nachdem ihm der junge Hitzkopf Schofield Kid (Jaimz Woolvett, Helter Skelter) jedoch darüber in Kenntnis setzt, dass eine Prostituierte in der verschlafenen Kleinstadt Big Whiskey von zwei Freiern aufs Übelste verstümmelt wurde, greift er für das Kopfgeld von 1000 Dollar erneut zum Schießprügel.
Erbarmungslos arbeitet gezielt mit dem kanonisierten Bildrepertoire des Western, wenn sich die formidabel geführte Kamera von Jack N. Green an bis zum Horizont erstreckenden Landschaften labt und eine typische Western-Gemeinde über ihre obligatorischen Lokalitäten erklärt: Das Polizeirevier, der Saloon, das Bordell. Dass Clint Eastwood aber nur im Ansatz darum bemüht ist, Klischees und Konventionen zu reproduzieren und sich primär damit beschäftigt, genau diese im Genre fest verwachsenen Mythen zu entzaubern, wird bereits in der Szene überdeutlich, in der sich William Munny für sein „neues Abenteuer“ vorbereitet. Mit dem Colt versucht er, in Schießübungen eine Blechbüchse zu treffen. Vergebens. Erst mit der Schrotflinte trifft er dank der Streuung sein Ziel. Auch sein Pferd kann er kaum noch besteigen, was nicht nur damit zusammenhängt, dass dieses seit Jahren schon nicht mehr einritten ist – mehr als einmal wird er aus dem Sattel geworfen.
Zusammen mit Schofield Kid und seinem ehemaligen Partner Ned Logan (Morgan Freeman, Sieben) macht er sich auf den Weg, um den beiden Frauenschändern das Handwerk zu legen, während der diabolische Sheriff von Big Whiskey, Little Bill Daggett (Gene Hackman, French Connection – Brennpunkt Brooklyn), Wind davon bekommt, dass die hiesigen Freudenmädchen ein Kopfgeld auf zwei Bewohner seiner Stadt ausgesetzt haben. Auch hier manifestiert sich eine anregende Umkehrung altbekannter Erzählgewohnheiten, ist es nämlich nicht der Sheriff, der seine Stadt und Bürger vor Eindringlingen beschützen muss, sondern die „Fremden“, die irgendwann in Konflikt mit dem – eigentlich – starken Arm des Gesetzes kommen. Die reflektierte Umsicht von Erbarmungslos schlägt sich im Zuge dieses Spannungsherdes dort nieder, dass der Film es tunlichst vermeidet, seine Akteure klaren Rollenzuschreibungen mit noch klareren Charakteristika zu unterwerfen.
Obgleich Little Bill niederträchtig handelt, sprich, das Gesetz vorwiegend nach seinen eigenen Vorstellungen definiert, lässt Erbarmungslos ihm doch immer noch tragische Züge, die ihn nicht zum Abziehbild des absolut Bösen werden lassen, sondern zu einer fehlgeleiteten Persönlichkeit, die sich in den Tiefen ihres Herzens im Klaren darüber ist, das Falsche zu tun. William Munny wird nicht müde zu erwähnen, dass er sich verändert hat und sich nur noch einmal dem Töten hingibt, um seinen beiden Kindern eine sichere Zukunft zu ermöglichen. In Wahrheit allerdings hat Munny bereits zu viel gesehen, erlebt und getan, um sich wirklich noch verändern zu können, auch wenn er sich das einredet. Der Ruf, der ihm vorauseilt, ist immer noch fester Bestandteil seiner Identität – und das ist die Tragik seiner Person. Munny kann seiner Vergangenheit nicht entkommen, er ist ihr verpflichtet, was sich schließlich auch im von Sturzbachregen getränkten Finale ausdrückt.
Die Geister der Männer, die Munny umgebracht hat, sind längst auf ihn übergegangen, suchen ihn seit jeher heim. Und genau dort wird der von Eastwood verkörperte Ex-Kopfgeldjäger zum Zerrbild seiner vorherigen Gunslinger-Darstellungen, denn als Fremder ohne Namen war es ihm immer eine Möglichkeit, seine Taten auch bis zu einem gewissen Grat vor sich selbst zu verschleiern. Als William Munny jedoch besitzt er das volle Bewusstsein über sich, seinen Handlungen, seine Sünden. Wenn Munny in einer Szene voller Bedauern und Reue Schofield Kid erklärt, dass das Töten eines anderen Menschen immer bedeutet, alles auszulöschen was er war und was er noch sein könnte, dann spricht er damit auch sich selber an, der sich durch seine unzähligen Morde, oftmals auch einfach aus gemeiner Willkür heraus, selbst der Verdammnis übergeben hat. Am Ende wartet kein Sonnenaufgang auf unsere Protagonisten, sondern weitere Narben auf Körper und Seele. Man kann sich selbst nicht entkommen.