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Michael Dorsey ist ein guter aber unbekannter Schauspieler in New York. Unter dem Namen “Dorothy Michaels” bekommt er schließlich eine Rolle in einer großen Fernsehserie und wird als Frau berühmt. Als “Tootsie” ist er bei seinen Kollegen anerkannt und beliebt. Aber nun fangen seine Schwierigkeiten erst richtig an: Er – “Dorothy” – verliebt sich in seine Partnerin Julie! Julies Vater und auch der Hauptdarsteller der Serie verlieben sich wiederum in ihn – “Tootsie”. Wie wird Michael Dorsey “Dorothy Michaels” wieder los?
Kritik
Quasi über Nacht wird Dorothy Michels trotz ihre Großmutter-Dauerwelle, dem biederen Anstandsdamen-Look und dem Sexappeal von abgelaufenen Knäckebrot der neue Star einer erfolgreichen Krankenhaus-Soap. Ihre ursprüngliche Nebenrolle reißt schnell die gesamte Show an sich. Die Fanpost stapelt sich, am bisher vom flotten Alltagssexismus, Popo-klatschenden dominierten Set herrscht bald Zucht, Ordnung und angemessener Respekt. Denn Miss Michaels improvisiert nicht nur vor laufender Kamera, verwandelt die ramschigen Dialoge in echte Statements mit Aussage und ihre Rolle damit zu Gallionsfigur der Emanzipation, sie krempelt die gesamte Produktion auf links. Treibt damit ihren Regisseur in den Wahnsinn, aber erobert alle anderen Herzen im Sturm. Leider die für sie falschen und nur nicht das von Kollegin Julie (Jessica Lange; American Horror Story)…zumindest auf die Art und Weise, wie sie es gerne hätte. Denn unter dem mausgrauen Äußeren mit der trotzdem starken Präsenz von Dorothy „Tootsie“ Michaels steckt eigentlich der erfolglose Schauspieler Michael Dorsey (Dustin Hoffman, Rain Man). Seine spontane Schnapsidee funktionierte erstaunlich gut und ist zum Selbstläufer geworden. Hat ihn zu großem Erfolg geführt, aber gleichzeitig vor noch größere Probleme gestellt, nicht nur mittel- und langfristig gesehen.
Satte 10 Oscarnominierungen räumte die Komödie von Sydney Pollack (Die drei Tage des Condor) seiner Zeit ab (am Ende wurde nur Jessica Lange ausgezeichnet), ist auch noch heute in etlichen offiziellen Top-Listen enthalten und wurde 1998 in das National Film Registry für besonders erhaltenswerte (US-)Filme aufgenommen. Extrem viel, genau genommen deutlich zu viel Anerkennung für eine oberflächlich doch sehr seichte Verwechslungsklamotte, die so oder so ähnlich bereits mehrfach (und danach immer mal wieder) verfilmt wurde. Allerdings – und das muss man Tootsie in der Tat zugutehalten – verkommt seine Prämisse nicht zu reinen Geheim-Travestie-Show, die sich ausschließlich auf der Gender-Irritation ausruht und das für peinlich-alberne Pointen nutzen will. Natürlich spielen diese Verwirrungen eine entscheidende Rolle: Michael alias Dorothy verliebt sich Hals über Kopf in Julie, die fühlt sich auch zu ihm/ihr hingezogen, kann das aber natürlich nicht entsprechend einordnen. Gleichzeitig muss er/sie sich lästiger Avancen ausgerechnet von Julie’s Vater (Charles Durning, Der letzte Countdown) oder dem vom Teleprompter abhängigen, nicht sonderlich talentierten und alters-lüsternen (bisherigen) Star der Sendung (köstlich: George Gaynes, Commandant Lassard aus der Police Academy-Reihe) erwehren, während der „echte“ Michael gerade in eine lockere Affäre mit seiner besten Freundin Sandy (Teri Garr, Der Dialog) gerutscht ist, die er nicht einfach so verprellen möchte.
Viel Drunter und Drüber, hektisches Kleiderwechseln und Make-up-Abwaschen- oder Auflegen, ja, das gehört zu so einem Film natürlich dazu, aber seine besten Momente bezieht er nicht dadurch. Saukomisch und treffsicher sind besonders die Szenen zwischen Michael und seinem Agenten (Sydney Pollack selbst, das wollte er sich wohl nicht nehmen lassen), komplett ohne Perücke und Alte-Jungfer-Fummel. Denn Tootsie lebt nicht von den zu erwartenden Humoreinlagen (und auch die sind für das „Genre“ eher dezent, nicht überstrapaziert), setzt ein paar smarte Spitzen auf den Wahnsinn Showgeschäft, amerikanisches und männliches (Klischee?)Gedankengut und lässt seine Hauptfigur eine recht plausible Charakterentwicklung durchlaufen. Der sich selbst überschätzende, pseudo-intellektuelle und doch auch nur ein schürzenjagender Schauspieler/Kellner Michael lernt durch den radikalen Seitenwechsel eher beiläufig, aber effizient sich und sein bisheriges Auftreten zu reflektieren, um am Ende (vielleicht) aus der Chose als besserer Mann herauszugehen. Da ist Tootsie wesentlich überlegter als übliche Crossdresser-Possen mit weggeklemmten Penis, über die ganze Laufzeit sehr charmant ohne peinlich zu werden und vor allem: Fabelhaft besetzt.
Ohne Dustin Hoffman wäre der Film wahrscheinlich (ziemlich sicher) wesentlich weniger wert. Wenn man es als Zuschauer nicht besser wüsste, man könnte kurzzeitig selbst auf die Altweiberfastnacht reinfallen. Sagenhaft gut gespielt, aber auch die Nebenrollen sind mehr als überdurchschnittlich belegt. Neben den schon erwähnten Lange, Garr, Durning und Gaynes muss unbedingt Bill Murray (Lost in Translation) als trocken-kommentierender Mitbewohner genannt werden, der im Prinzip immer das kurz und knapp ausspricht, was dem Zuschauer auch gerade durch den Kopf geht. Letztlich ist Tootsie dann auch nicht mehr als entspannte Unterhaltung – so richtig zupacken will er mit dem satirischen Reißzähnen nicht, nur etwas kratzen -, aber dafür eine der wirklich guten, charmanten Sorte.
Fazit
Aus einer banalen, aufgewärmten Idee holt der Film einiges raus. Dank gekonnter, wenn auch in letzter Konsequenz nicht gänzlich ausgenutzten Seitenhieben, einem guten Timing, flotten Dialogen und besonders dem exzellenten Cast ist Tootsie ein amüsanter, teilweise cleverer Zeitvertreib. Über mehr muss aber nicht ernsthaft diskutiert werden.
Autor: Jacko Kunze