Inhalt
Die junge Edelprostituierte Ai hat sich auf Sadomasochismus spezialisiert. Sie bedient jeden Wunsch Ihrer Kunden und beobachtet, was die Männer dabei ihr und sich selbst zufügen. Dabei hofft sie auf ihrer Reise durch die perversen Triebe stets noch auf die große Liebe, die sie vor Jahren traf. Eine Wahrsagerin hat ihr vorhergesagt, dass sie ihren Geliebten eines Tages treffen wird. Dies hilft Ali, auch die größte Demütigung über sich ergehen zu lassen. Schließlich muss sie jedoch erkennen, dass der eingeschlagene Weg immer tiefer in einen Sumpf aus Drogen und Abhängigkeit führt.
Kritik
Sobald sich Ai (Miho Naikaido, Meanwhile) einem ihrer Kunden hingibt, ist ihr Körper nur noch Mittel zum Zweck. Die Prostituierte leistet keinen Widerstand und lässt sich auf Wunsch zu einem Objekt degradieren, über das per Zahlung frei verfügt werden darf. In ihrer Rolle als sadomasochistische Dienerin setzt sie sich Erniedrigungen und Demütigungen aus, doch wenn es sein muss, wechselt sie die Seite und macht winselnde, gefügige Tiere aus den Männern, die vor ihr auf dem Boden knien.In Ryū Murakamis Tokyo Decadence verwandeln sich Hotelzimmer in eigene Welten, sobald die Türen verriegelt sind und sehnlichstes Verlangen enthüllt wird. Der Zuschauer begleitet die 22-jährige Prostituierte in die Räumlichkeiten ihrer Kunden, wo sie abgründige Vorlieben, sonderbare Fetische und bizarre Gelüste in die Realität umsetzen soll. Dabei inszeniert der Regisseur die S/M-Sequenzen in ungeschönter Langsamkeit, ohne dabei jemals in zu explizite Gefilde zu geraten.
Selbst ausgefallene Aktionen, bei denen Ai beispielsweise mit einem angeklebten, in sie eingeführten Vibrator wie ein Hund über den Boden kriechen muss, mit einer Kollegin einen völlig zugedröhnten Kunden um ein Haar umbringt, weil dieser gleichzeitig befriedigt und stranguliert werden will oder in eine Schüssel uriniert, die von einem devoten Kunden prompt ausgetrunken wird, bewahren sich unter der Regie des japanischen Regisseurs einen gewissen Stil, der das Werk nie zur voyeuristischen Provokation verkommen lässt, in der stets auf den nächsten Schockeffekt abgezielt wird. Begierde und Perversion, Lust und Schmerz sowie Verlangen und Trieb sind die nahezu alles bestimmenden Gegensätze in Murakamis Film, der die japanische Hauptstadt in einem kalten, von sich selbst entfremdeten Licht zeigt. Das typische Bild von Tokio, in dem sich eine unüberschaubare Zahl an Menschenmassen tagsüber durch dicht bevölkerte Straßen drängt, während die Nacht von unzähligen Lichtquellen schier überflutet wird, wandelt sich in Tokyo Decadence zu einem Porträt der Leere und Einsamkeit, in dem Intimität nur noch im kleinsten Rahmen, unter finanziellen Bedingungen sowie hinter verschlossenem Riegel stattfinden kann.
Im Vergleich zu ihren Kunden, bei denen es zuweilen schwerfällt, Überreste menschlicher Empfindungen auszumachen, ist Ai das letzte noch flackernde Licht in einem lange erloschenen Meer. Ihr finales Aufbegehren nach Liebe und Zuwendung wird von der Gesellschaft daher folglich als das Verhalten einer verrückt gewordenen Irren gedeutet. Nachdem sie sich mit blutigem und tränenverschmiertem Gesicht zuletzt vollständig geöffnet hat, bleibt Murakami abschließend nichts anderes mehr übrig, als Ai wieder hinter der makellosen, unberührten und zugleich falschen Fassade zu verbergen, damit das „normale“ Leben weitergehen kann.
Fazit
Mit "Tokyo Decadence" erwartet den Zuschauer keinesfalls der oftmals beschworene S/M-Schocker, sondern eine tieftraurige Spirale um Einsamkeit und Aufbegehren. Regisseur Ryû Murakami baut dabei niemals auf voyeuristische Effekte, sondern gibt sich beobachtend, eindringlich und mitfühlend.