Inhalt
Die junge Norwegerin Thelma zieht nach Oslo, um dort zu studieren. Hier begegnet sie kurz darauf Anja, in die sie sich verliebt. Doch etwas Unheimliches geht mit Thelma vor: Sie entdeckt durch immer häufigere Zwischenfälle, dass sie erschreckende, übernatürliche Kräfte besitzt, mit denen sie ihr Umfeld beeinflussen kann.
Kritik
Joachim Trier gehört mittlerweile zu jener Kategorie europäischer Autorenfilmer, deren kommende Werke mit einer gespannten Portion Vorfreude beobachtet werden. Sein künstlerischer Output besticht bisher weniger durch seine Fülle, als vielmehr durch die Qualität und Konsistenz, die in seinem Schaffen begründet liegt. Konnte bereits sein Erstling Auf Anfang begeisterte Stimmen im Feuilleton evozieren, sorgte sein darauffolgendes Werk Oslo, 31. August für flächendeckende Begeisterung. Triers eigener Anspruch war dabei immer klar: Realitätsnahe, greifbare und intellektuelle Dramen durch eine dichte und naturalistische Inszenierung greifbar zu machen. Mit seinem neuesten Werk Thelma weicht er zwar keinesfalls von diesem Ansatz ab, erweitert ihn jedoch um eine Fülle anderweitiger Elemente und trumpft so mit einem bunt gemischten (Genre)Film zwischen adoleszenter Selbstbestimmung, beklemmender Mystifizierung und formalisierter Traumabewältigung auf.
Ein Referenzrahmen für den Film lässt sich indes mit Leichtigkeit festlegen. In einem Interview gab Joachim Trier zu, dass er neben den Werken von Francois Truffaut (Sie küssten und sie schlugen ihn), Andrei Tarkowski(Stalker) und Ingmar Bergman (Persona) auch mit Brian de Palma aufgewachsen ist. Eine filmische Prägung, die sich konsequent auf Thelma niederschlägt, ohne zu einer sklavischen Aufarbeitung ihrer Vorbilder zu werden. Vor allem Carrie – Des Satans jüngste Tochter findet seinen thematischen Weg in Triers neusten Film, obgleich dieser dabei deutlich subtiler vorgeht. Das bedeutet jedoch nicht, dass es Thelma an Spannung oder Schock mangelt, von Beginn an kommt es immer wieder zu Szenen, die durch ihre Ungewissheit an den Nerven des Betrachters zerren.
Dabei bringt Trier diese Momente auf unterschiedliche Weiße zur Geltung, mal durch bohrend langsame Einstellungen, mal durch schwindelerregend schnelle Schnittfolgen. Den Abnutzungserscheinungen, welche oftmals durch die gleichförmige Wiederholung filmischer Mittel entstehen, wirkt er damit radikal entgegen und bringt somit jede Szene zu einem wirkungsvollen Abschluss. Inszenatorisch stellt Thelma dadurch das wohl aufregendste Werk im Oeuvre des Norwegers dar, obgleich der stark charaktergetriebene Film gerade für den im Mainstream verankerten Zuschauer nichtsdestotrotz eine Spur zu langsam und unaufgeregt daherkommt. Neben dem gekonnten Einsatz formaler Mittel, bindet vor allem die feinfühlige Darbietung von Eili Harboe (The Wave) emotional an die späteren Entwicklungen des Films.
Aus den konservativen Verhältnissen ihres Elternhauses entrissen, durchläuft sie zunächst eine bekannte Coming-of-Age Geschichte, nur um die typischen Grenzen dieses Prozesses alsbald hinter sich zurückzulassen. Ihre eher einseitige Liebesbeziehung zu einer anderen Studentin nutzt Trier nicht etwa als aufdringlichen Kommentar zu gleichgeschlechtlicher Liebe, sondern begreift diesen Umstand vielmehr als Natürlichkeit, die nicht extra hervorgehoben werden muss. Thelma verliebt sich nicht etwa deswegen in eine Frau, weil sie explizit am gleichen Geschlecht interessiert ist, sondern vielmehr, weil das Objekt ihrer Begierde das erste menschliche Wesen ist, welches ihr Aufmerksamkeit und Sympathie entgegenbringt. Dem oftmals furchtbar müßigen Diskurs ist Trier dadurch mehr als einen Schritt voraus. Indem er die Differenzierung der Geschlechter als unnötig darstellt, anstatt sich in bekannten Stereotypen zu wälzen, beweist er eine liberale Perspektive auf die Situation.
In audiovisueller Perfektion kommt es im Laufe von Thelma immer wieder zu großartigen Momenten, die gerade gegen Ende immer stärker ins Surreale abdriften. Mit beklemmender Atmosphäre berichtet Trier von der nagenden Ungewissheit und Verwirrtheit der titelgebenden Protagonistin. Weder von ihrem Umfeld, noch von sich selbst verstanden, sucht sie nach Normalität und Geborgenheit, doch stößt nur auf Unbehagen und Misstrauen. Selbst ihre eigene Familie versteht sie nicht, versucht ihre Natur zu unterdrücken anstatt Kontrolle und Akzeptanz zu stiften. Vieles ist hierbei symbolisch, verdeutlicht das Triebhafte und Unterbewusste. Besonders imposant ist daher auch das Ende, wenn Thelma sich von ihren Fesseln befreit und endlich den Schritt zur Selbstbestimmung wagt. In diesen Momenten ist der Film ganz bei sich, als Genrefilm verpacktes, tiefenpsychologisiertes Coming-of-Age Kino am Puls der Zeit.
Fazit
„Thelma“ fühlt sich in etwa so an, als hätte Ingmar Bergman seine eigene Version von „Carrie – Des Satans jüngste Tochter“ gedreht. Das grob am Topos des Coming-of-Age Films orientierte Werk besticht durch seine suggestive Inszenierung und einem stark symbolischen Narrativ, welches man auf verschiedene Arten deuten kann. Sexuelle Lust begreift Joachim Trier dabei als den zentralen Trieb des menschlichen Daseins, während das Unterbewusstsein die Kontrolle übernimmt. Sigmund Freud wäre begeistert gewesen.
Autor: Dominic Hochholzer