Inhalt
Eigentlich ist Damians ( Cillian Murphy ) Laufbahn als Mediziner vorbestimmt und sein Zugticket nach London gelöst. Als er jedoch Zeuge eines feigen Mordes der britischen Armee wird, entschließt sich der junge Ire einer Bewegung anzuschließen, die sein Bruder ( Padraic Delaney ) anführt. Als Revolutionäre ziehen sie in den Krieg um für ihr Land und Gerechtigkeit zu kämpfen. Schonungslos gegenüber sich selbst und dem Feind agieren die ernannten Helden. Dabei erhalten sie Unterstützung durch die verarmte und ausgehungerte Bevölkerung, die mit Rat, Tat und Waffen zur Seite steht. Aber schon bald müssen beide Brüder erkennen das ihr Kampf aussichtslos, und auch ihre Ansichten nicht mehr die Selben sind. Und schon im nächsten Bürgerkrieg stehen sich Beide als erbitterte Feinde gegenüber.
Kritik
Mit The Wind That Shakes The Barley gelang dem britischen Regisseur Ken Loach (Ich, Daniel Blake) 2006 bei dem Filmfestspielen in Cannes eine faustdicke Überraschung. Dort errang er aus der Außenseiterposition, dank sehr starker Konkurrenz, die Goldene Palme für den besten Film. Die späteren Kritiken fielen ebenfalls überwiegend positiv aus, dennoch blieb sein Werk über die frühen Jahre der IRA und den Beginn des irischen Bürgerkriegs weitestgehend übersehen bzw. ungesehen. Dabei entfernt er sich überhaupt nicht von auch Mainstream-kompatiblen Sehgewohnheiten. Erschafft quasi eine universell anwendbare Mischung aus historisch-politischem Kriegs- und Familiendrama, das nicht zwingend in den Bereich Arthouse einzuordnen ist, aber natürlich mehr bietet als schlichte Unterhaltung. Vermutlich sogar das kommerziell am ehesten erfolgversprechende Projekt des Regisseurs, der sich sonst doch sehr dem reinen Independent-Kino verpflichtet fühlt.
Anhand der Brüder Damien (Cillian Murphy, Dunkirk) und Teddy (Pádraic Delaney, Blackthorn) wird der tiefgehende Riss innerhalb der irischen Republik personifiziert, der aus einem mehr als ambivalenten Friedensvertrag anno 1921 hervorging. Die Handlung setzt ein Jahr zuvor an. Der junge Chirurg Damien steht vor einer rosigen, beruflichen Zukunft in London, entscheidet sich aber im letzten Moment für den radikal anderen Weg. Geschockt von der hautnah erlebten Brutalität und ungerechten Willkür der britischen Besatzungsmacht schließt er sich seinem Bruder Teddy an, der die lokale Guerilla-Einheit der noch jungen IRA befehligt. Innerhalb kürzester Zeit ist Damien mitten an der Front eines noch kleinen, aber nicht minder rücksichtslosen Krieges und muss bereits Menschenleben nehmen, anstatt sie zu retten. Manchmal sogar von guten Freunden, wenn sie das große Ganze gefährden. Ein moralischer Zwiespalt, dem er sich mehr als bewusst ist und an dem er zu knabbern hat, aber ihn in seiner Relevanz als trotzdem notwendig betrachtet. Als der Krieg angeblich gewonnen ist, geht es jedoch erst richtig los. Der ausgehandelte Waffenstillstand mit dem Königshaus spaltet das Volk, die IRA und besonders die Brüder. Während ausgerechnet Vorreiter und Idol Teddy mit den Bedingungen einverstanden ist und sofort der neuen Volksarmee beitritt, entschließt sich Damien mit eine Mehrzahl der anderen weiterzukämpfen.
Ken Loach scheint zunächst klare Schwarz-Weiß-Malerei zu betreiben, was für ihn nicht nur extrem ungewöhnlich und verwunderlich wäre, sondern zu einem nicht geringen Grad sogar verwerflich. Nein, er legitimiert niemals die Taten der IRA und vor allem nicht das, was sich daraus entwickeln und über Jahrzehnte unzählige, unschuldige Todesopfer fordern sollte. Er beginnt bei der Wurzel. Dem Grund für das ganze Elend und erklärt die ursprüngliche Motivation, die so gesehen alles andere als unverständlich ist. Gerade aus der Warte von Hauptperson Damien, der sich diesen Schuh gar nicht anziehen müsste. Er hat alle Chancen für ein gutes Leben und wirft sie bewusst weg, um einer noch besseren, idealistisch geprägten Sachen zu dienen. In dem Glauben, damit langfristig das Richtige zu tun. Rebellion ist erstmal nichts Schlechtes, besonders wenn sie sich gegen eine eindeutig ungerechte Sache wendet. Das Problem dabei ist oft nur ihre Verselbstständigung. Der Mangel an Vernunft, Objektivität und Weitsicht. Irgendwann kann so was ganz schnell kippen, speziell in dieser Größenordnung und Brisanz.
Loach schildert einen glaubhaften, „falschen“ Kontrollverlust, denn so etwas wie Kontrolle hat hier von Anfang an keiner. Weder die britischen Besatzer, die ihre bäuerlichen Widersacher viel zu sehr unterschätzen, noch die paramilitärischen Aktivisten, die sich der Tragweite ihrer Taten gar nicht bewusst sind. Der Weg bis zum schicksalsträchtigen 6. Dezember 1921 wird extrem gut und wirkungsvoll erzählt, der eigentlich wirklich dramatische Effekt entsteht danach. Der Haken: Da sind schon ¾ der Laufzeit aufgebraucht. Das authentische, bewegende, wunderschön „roh“ fotografierte und trotz seiner Emotionalität nie kitschig-überfrachtete Drama The Wind That Shakes The Barley hat exakt eine komplett unnötige Baustelle: Es ist zu kurz. Die Rede ist von einem 127 Minuten umfassenden Film. Womöglich – rein spekulativ – wollte man die kriegsentscheidende Marke von 2 Stunden nicht zu sehr überschreiten, denn gerade das letzte Drittel hätte schon einen eigenen Film verdient. So bleibt eine immer noch reflektierte, neutrale, aber schon kritische wie spannende Darstellung eines Konflikts anhand fiktiver Figuren bestehen, sie wirkt aber etwas zu gestutzt. Das ist eines der seltenen Beispiele, das mit 150 bis 200 Minuten kaum zu lang, sondern nur besser wäre. Mit der entsprechenden Qualität, versteht sich, anhand des vorliegenden Materials aber wohl das geringste Problem.
Fazit
„The Wind That Shakes The Barley“ ist ein hochinteressanter, inhaltlich und fachlich exzellenter Film, der nur ruhig etwas größer hätte ausfallen können. Der hat so viel Potential und wirkt schlussendlich deutlich zu bemüht, jetzt schnell ein Ende abzuliefern. Bei so vielen Konflikten, bei so vielen (sehr nebensächlich behandelten) Nebenfiguren, bei dieser historischen Relevanz: Drei Stunden wären keine Zeitverschwendung. Wenn man einen Film aufgrund dessen kritisieren muss, spricht das aber allgemein mehr für als gegen ihn.
Autor: Jacko Kunze