Inhalt
Shlomi, ein 18-jähriger israelischer Soldat, der im Gazastreifen seinen Wehrdienst leistet, hat die Nase voll. Auch ohne Erlaubnis beschließt er, zu seiner Freundin nach Tel Aviv zurückzukehren. Doch dort muss er festzustellen, dass alle glauben, er sei im Krieg entführt worden. Die nächsten 24 Stunden ist Shlomi ständig auf der Flucht.
Kritik
Gesehen beim 30. Jüdischen Filmfestival Berlin Brandenburg
Die Flucht vor Gefahr ist ein angeborener Reflex, der dem Eigenschutz und letztendlich dem Überleben dient. Der 18-jährige Soldat Shlomi (Ido Tako, Come Closer) folgt diesem Reflex, als sich, für ihn nach einem Gefecht, die Gelegenheit ergibt, sich dem Kampfgeschehen und dem Krieg zu entziehen. Ob es jedoch das tragende Motiv ist, wird im Verlauf des Films noch mehrmals infrage gestellt werden, denn eigentlich will er auch seine Freundin Shiri (Mika Reiss, Bat HaShoter) noch einmal sehen, bevor sie nach Kanada zum Studium aufbricht. Zwischenzeitlich kämpft er mit seinem Gewissen und vielleicht mit einer Art Pflichtbewusstsein oder der Angst für seine Fahnenflucht bestraft zu werden, ob er nicht wieder zurück zu seiner Einheit kehren soll. Shlomi ist ein Getriebener, der nicht weiß, wo er hin will. Er folgt einem flüchtigen Gedanken nach dem anderen, und bevor er sein zuvor gesetztes Ziel eigentlich erreicht, hat sich eigentlich alles schon wieder verändert und es verläuft in eine andere Richtung.
Genauso unentschlossen wie Shlomi wirkt der Film von Dani Rosenberg (The Death of Cinema and My Father Too), der viel Raum für Interpretation lässt. Die Idee zum Film entwickelte Rosenberg nach seinen eigenen Erfahrungen, denn als Wehrdienstleistender floh er selbst von seinem Posten, kehrte aber schon nach kurzer Zeit zurück, ohne dass es bemerkt wurde. Er selbst stellte das System und den Umgang mit dem Nahost-Konflikt infrage und wollte deshalb den Militärdienst quittieren. So weit kann man zwar bei Shlomi nicht gehen, denn weder ist er besonders politisch, noch scheint er wirklich bereit zu sein, den eingeschlagenen Weg ernsthaft zu Ende zu gehen. Welche Auswirkungen sein Handeln haben kann, wird ihm erst relativ spät bewusst und treibt ihn dann gewissermaßen derart in die Ecke, dass seine Aktionen immer unlogischer werden. Hier fehlt Rosenberg die Idee oder eher der Mut den Film konsequent zu einem Abschluss zu bringen. Doch zu politisch wollte Rosenberg den Film dann doch nicht ausgestalten.
Dennoch dürfte der Film, der noch vor den Ereignissen am 7. Oktober 2023 gedreht wurde, gerade in Israel zu einigen Kontroversen führen, obwohl man den Film nun wirklich in alle Richtungen interpretieren kann und sich Kritik am System oder der Armee nicht wirklich augenscheinlich aufdrängt. Auch lässt sich The Vanishing Soldier schwer, einem Genre eindeutig zu ordnen. Für ein Drama gibt es zu viele komödiantische Elemente und als Tragikomödie fehlt es an Drama und Tragik. Für eine schwarze Komödie ist der Film dagegen zu harmlos. Das klingt nun alles recht negativ, aber so schlecht ist der Film dann nicht. Zu verdanken hat man das in erster Linie dem Hauptdarsteller Ido Tako, der seine erste Hauptrolle in einem Film nicht nur souverän spielt, sondern den mal unentschlossenen, mal ängstlichen, mal mutigen und dann wieder kindlich spitzbübigen Shlomi wahrlich verkörpert. Es gibt einige Momente, in denen man von der Verzweiflung des jungen Soldaten ebenso erfasst wird, wie von seiner energiegeladenen Motivation und seinem Optimismus, dass sich alles zum Positiven wenden wird.
Genauso können die komödiantischen Elemente für sich gesehen überzeugen. Hier gibt es einige skurrile und manchmal slapstickartige Szenen, die sich auf der Flucht ergeben. Eigentlich ist Shlomi ständig in einer Situation, in der er fliehen muss und wenn es nur vor einem französischen Touristenpaar ist, denen er gerade die Kleidung entwendete. Für außenstehende birgt sogar der Alltag in Tel Aviv jede Menge Komik. Es mag sich wie eine Satire anfühlen, wenn man sieht, wie während des Raketenalarms jemand entspannt einen Drink genießt, während sich alle anderen in Deckung begeben, doch leider ist es für die israelische Bevölkerung bitterer Ernst. Genau solche Momente, die zeigen, wie nah der Terror ist und wie routiniert damit umgegangen wird, sind es, die den Film aufwerten. Wie auch Szenen, in denen verdeutlicht wird, wie sehr die Armee das Bild im zivilen Leben prägt, etwa wenn Shlomi in Alltagskleidung und mit Gewehr über der Schulter die Straße entlang rennt und sich niemand dafür interessiert. Insgesamt würde der Film sicherlich noch besser funktionieren, wenn er sich entweder mehr auf die Comedy oder mehr auf das Drama konzentriert hätte.
Fazit
„The Vanishing Soldier“ erzählt die eigentlich interessante Geschichte eines desertierten Soldaten, lässt dabei aber zu viel Freiraum für Interpretationen, um es nach Möglichkeit allen recht zu machen und beraubt sich dadurch seines Potenzials. Als klassische Komödie oder reines Drama, vielleicht auch als Tragikomödie, hätte das ganz gut funktioniert, denn die Ansätze sind da und die einzelnen Passagen für sich vermögen auch zu überzeugen. Das liegt natürlich unter anderem am hervorragenden Hauptdarsteller Ido Tako, aber genauso an dem restlichen Cast. Es wäre in jedem Fall mehr möglich gewesen.
Autor: Andy Mieland