Inhalt
Nach dem mysteriösen Verschwinden seiner Frau begibt sich der Ehemann auf eine düstere und verstrickte Suche.
Kritik
Die normale Filmkritik besteht zum Hauptteil aus dem Versuch das audiovisuell auf der Leinwand Erlebte in ein schriftliches Medium zu verwandeln. Dies ist natürlich ein größtenteils unmögliches Unterfangen, kann man Musik und Bild doch in keinster Weise durch einen Text genau so übertragen, wie man es im Kinosaal wirklich wahrgenommen hat. Kritiken bestehen daher aus inhaltlichen Empfehlungen, Metaphern, sowie Vergleichen, um dem Leser ein ungefähres Bild dessen zu geben, was ihn erwarten könnte. Gleichzeitig kann man bei den meisten Filmen dann immerhin noch Handlung, Schauspieler, Pacing usw darstellen, bei denen der Medientransfer von Bild/Ton zu Schrift nicht so sehr vollzogen werden muss. Bei Hélène Cattets und Bruno Forzanis mysteriös betiteltem „The Strange Color of Your Bodys Tears“ ist diese Vorgehensweise aber nun absolut unmöglich geworden. „Strange Color“ ist zu einhundert Prozent ein ausschließlich audiovisuelles Erlebnis, dass sich wie ein Puzzle aus Zitaten und Genreverweisen zusammensetzt und mit Hilfe von aburden Soundkulissen und optischen Experimenten versucht den Zuschauer für circa 100 Minuten in seinen Bann zu ziehen.
„The Strange Color of Your Bodys Tears“ hat dementsprechend auch weder eine wirkliche Handlung, noch so etwas wie ausgearbeitete Charaktere, oder einen Spannungsbogen. Zwar wird zu Anfang noch eine mysteriöse Geschichte angedeutet, bei der es sich um das plötzliche Verschwinden von Dan Christensens (Klaus Tange) Frau handelt, der von da an innerhalb ihres surrealen Wohnungskomplexes nach eben jener sucht. Doch wird diese „Story“ schon nach kurzer Zeit zu Gunsten von audiovisuellen Experimenten in eine Spirale aus Sounds und Farben gezogen, bis man sie nicht mehr wiedererkennen mag. „Strange Color“ besteht aus kaum auszuhaltenden Wiederholungen, schnellen und plötzlichen Schnitten, Farbfiltern, abwechselnd harmonischen und nervenzerrenden Sounds, Splitscreens, extremen Close-Ups, schiefen Kamerawinkeln und so weiter und so fort. Die Regisseure unterstrichen bei der Darstellung ihres Films (beide waren auf dem Fantasy Filmfest anwesend), dass sie hier einen Film erschaffen wollten, der einem audiovisuellen Labyrinth gleicht. Dementsprechend sei dieser Film auch absolut auf das Erlebnis im Kino ausgelegt, mit großer Leinwand und einem umfassenden Surround-Soung, der sich um den Zuschauer herumbewegen und ihn sozusagen von hinten in Richtung Leinwand drücken kann. Oder auch das Gegenteil, wenn verlangt.
Zudem verlangt „Strange Colors“ vom Zuschauer ein umfangreiches Wissen alter Giallo-Filme ab, ein vornehmlich italienisch geprägtes Genre, welches in den 70er Jahren seinen Höhepunkt fand und bei dem es sich meistens um surreale Darstellungen von Mordserien, maskierten Mördern, jungen Frauen und viel Blut handelt. „Strange Color“ ist also nicht nur ein audiovisuelles Puzzle, sondern setzt sich auch beinahe komplett aus Verweisen auf Filme wie „Suspiria“ zusammen, zitiert und verändert, fügt dem Ganzen dabei eine eigene Note hinzu und würzt das Ganze ab und an noch mit einer hefitgen Portion „Film Noir“. Wer ab den ersten Minuten des Films, bei denen es sich um eine schwarz-weiße, sehr abgehakte, beinahe daumenkinoartige Darstellung knarrender Lederhandschuhe, aufblitzender Messerklingen und nackter Frauenkörper handelt, noch nicht voll und ganz in der Welt von „Strange Color“ versunken ist, wird sich demnach durch die folgenden 100 Minuten durchquälen müssen. Der Film verlangt seinem Zuschauer viel Geduld, viel Resistenz gegen extrem laute Geräusche und unzählige Wiederholungen ab, auf die man sich entweder einlässt oder nicht.
Und mehr kann die Kritik in dem Moment auch nicht aussagen: „Strange Color“ ist ein anspruchsvolles Labyrinth aus Bildern, Musik (die teils an Ennio Morricones Westernklassikermusik erinnert), abstrakten Geräuschen und visuellen Experimenten. Das alles ist ansprechend inszeniert und sollte auch nur im Kino zu sich genommen werden, damit sich dieser surreale Trip auch wirklich zu hundert Prozent enfalten und seine Wirkung übertragen kann. Und das Publikum wird sich dementsprechend auch schon gefunden haben, denn jeder, der dem Vorgänger „Amer“ etwas abgewinnen konnte, wird sich auch wieder in „Strange Color“ verlieren. Es ist ein schwere Frage, ob ein Zuschauer, der mit dem Giallo-Genre bisher noch nicht in Berührung gekommen ist, etwas mit "Strange Color" anfangen kann. Doch als Kritikpunkt soll das hier nicht gesehen werden. Hier handelt es sich nicht um einen normalen Film, sondern ein audiovisuelles Erlebnis, das einen, wenn es funktioniert, über hundert Minuten aus der eigenen Welt reißt, und wenn es nicht funktioniert, zur reinsten Qual verkommt.
Fazit
Mit „The Strange Color of Your Bodys Tears“ haben das Regisseur-Ehepaar Hélène Cattet und Bruno Forzani ein pures audiovisuelles Erlebnis auf die Leinwand gebracht, welches man sich auch nur dort ansehen sollte: Ein filmisches Experiment, dass den Film als erzählendes Medium komplett negiert und ihn in ein Labyrinth aus Giallo-Puzzleteilen und surrealen Bild- und Tonkompositionen transformiert. "Strange Color" wirkt daher wie ein hundertminütiger, brutaler LSD-Trip, auf den man sich entweder einlässt oder durch den man sich durchquält. Die Frage, ob das hier nur noch Stil ist und überhaupt noch Substanz vorweisen kann, muss demnach jeder für sich selbst beantworten.
Autor: Thomas Söcker