MB-Kritik

The Quiet Son 2024

Drama

Vincent Lindon
Sophie Guillemin
Benjamin Voisin
Stefan Crepon
Hugo Bariller
Arnaud Rebotini
Édouard Sulpice
Denis Simonetta
Franco Provenzano
Thomas Arnaud
Abdel Bouchendidkh

Inhalt

Pierre, 50, zieht seine beiden Söhne alleine groß. Die drei stehen sich sehr nahe. Louis, der Jüngste, ist dabei, sein Zuhause zu verlassen, um in Paris zu studieren. Fus, etwas älter, wird geheimnisvoll. Da er von Gewalt fasziniert ist, engagiert er sich in rechtsextremen Gruppen, ganz im Gegensatz zu den Werten seines Vaters. Zwischen ihnen herrschen Liebe und Hass, bis sich eine Tragödie ereignet.

Kritik

Obwohl der internationale Verleih-Titel Delphine und Muriel Coulins (The Stopover) befangenen Beitrag zum Wettbewerb der Biennale weder mit dem französischen Original, das soviel wie „Mit Feuer spielen“ bedeutet, noch mit dem Laurent Petitmangins Buchvorlage What You Need from the Night auch nur entfernt zu tun hat, scheint er paradox passend für die ungelenke Mischung aus Fanatismus- und Familiendrama. Nicht, weil Titelcharakter Fus (Benjamin Voisin, Die Tanzenden) sonderlich schweigsam wäre, sondern weil die fatalistische Verfilmung selbst wenig zu sagen hat. 

Dieses Wenige packen die Regie-Schwestern in eine pädagogische Ansprache, die Vincent Lindon (The Second Act) als niedergeschmetterter Vater des jungen Mannes, der willkürlich dem Radikalismus verfällt, einem doppelten Saalpublikum hält. Einmal dem des Gerichts, vor dem Fus steht, und dem vor der Leinwand. Die vergrößert wortwörtlich die ausdrucksarme TV-Optik der schlichten Szenen. Die zeigen Fus unheilvolle Wandlung aus der Perspektive seines sozialistischen Vaters, dessen Unverständnis und Unkenntnis die der Inszenierung spiegeln. Kritisiert wird diese Distanz indes nur rhetorisch. 

Wenn Elektriker Pierre (Lindon) sich vor Gericht als „wahren Schuldigen“ bezeichnet, soll die histrionische Floskel tatsächlich seine Schuldlosigkeit zeigen: „Was hätte ich tun sollen? Wenn man ein vernünftiges Maß an Liebe erhalten hat, weder Elend noch Krieg durchlitten hat, wie kann man so enden?“ Statt Antworten zu suchen, macht es sich die Inszenierung in desinteressierter Distanzierung und resignativen Rechtfertigungen Louis (Stefan Crepon, Making of) bequem. Fus habe seine Mutter verloren, aber damit sei er nicht der Einzige. 

Umso mehr, da er einen jüngeren Bruder als Beweis Pierres erzieherischer Kompetenz hat. Louis ist friedfertig, durchweg demokratisch und lernt gerade für die Sorbonne als sein böser Bruder mit rechtsradikalen Ultras loszieht. Die dramaturgische Bias rechnet Pierre Louis positive Entwicklung an, aber absolviert ihn jeder Verantwortung für Fus. Dessen Rechtsradikalisierung ist zu Handlungsbedarf bereits abgeschlossen und wird lediglich entdeckt. Die Lücken der episodisch fragmentierten Erkenntnis werden zum ungewollten Verweis auf die psychologischen und dramatischen Leerstellen.

Fazit

Bittere Ironie, dass die einzige Erkenntnis Delphine und Muriel Coulin unzulänglicher Vater-Sohn-Sohn sich indirekt aus eklatanten Schwächen der mechanischen Inszenierung ergibt. Wenn eines Rechtsradikalismus fördert, dann das Negieren eigener Verantwortung und buchstäbliche Ausblenden der Thematik. Selbige fungiert als Aufhänger einer doppelmoralischen Apologie, die jede Auseinandersetzung mit familiären und sozialen Faktoren von Neo-Faschismus vermeidet. Lindons solides Spiel kaschiert kaum die mangelnde Entwicklung der Charaktere. Deren Unterteilung in simple Gut-Böse-Schemata zeigt exemplarisch die ängstliche Plakativität der fatalistischen Fanatismus-Skizze.

Autor: Lida Bach
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