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In seinem neusten Film erzählt Lars von Trier die Geschichte eines hochintelligenten Serienkillers namens Jack (Matt Dillon) im Zeitraum von zwölf Jahren aus dessen Perspektive. Jack betrachtet jeden einzelnen seiner Morde als Kunstwerk und tauscht sich in seinen Gedanken regelmäßig mit dem mysteriösen Verge (Bruno Ganz) aus. Während die Polizei dem Killer über die Jahre immer dichter auf den Fersen ist, geht Jack immer größere Risiken ein, denn er ist noch nicht zufrieden mit seinem Werk...

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Quelle: themoviedb.org

Kritik

Hast Du schon mal einen Snuff-Film gesehen? Hier gibt es gleich fünf.

Lars von Trier hat es mal wieder geschafft. Nach seinem Melancholia-Eklat auf der Cannes’schen Pressekonferenz wurde er jahrelang nicht eingeladen. Dann kehrte er feierlich (das ist natürlich das falsche Wort) mit The House that Jack Built zurück und brachte die Filmkritiker und Zuschauer dazu, in Strömen das Kino zu verlassen. Die Ablehnung gegenüber dem Film ist laut und breitflächig zu spüren. Zustimmung vereinzelt auch zu sehen. Da der Grundtenor gegenüber dem Film jedoch hauptsächlich verachtender bis hämischer Natur zu sein scheint und viele Menschen endgültig ihre Geduld für Lars von Trier verloren haben, will sich dieser Text auch zu einem kleinen Teil als Gegendarstellung verstehen. Dazu muss gesagt sein, dass der Autor sicherheitshalber noch einmal recherchiert hat, was eine Filmkritik überhaupt ist und was nicht - einfach, weil The House that Jack Built derart die Grenzen sprengt, dass er sich nicht mehr sicher sein konnte, ob ein solcher Text überhaupt sein Ziel erreichen kann. Wir werden sehen.

Fürs weitere Verständnis wird der Film vom Allgemeinen bis ins Codierte beschrieben und bewertet.

Der Film erzählt von Jack (Matt Dillon, Rumble Fish), der anscheinend zufällig zum Serienmörder wird und einem noch unbekannten Verge (Bruno Ganz, Träger des renommierten Iffland-Ringes, Der Untergang) von fünf zufällig ausgewählten Morden erzählt, um ihm zu beweisen, dass seine Morde als Kunstwerke angesehen werden müssen. Tatsächlich beschreibt Jack die Taten eher als Ereignisse. Zum einen verharmlost das die ganze Angelegenheit, zum anderen ist es treffender, weil es vorkommen kann, dass er pro Ereignis mehrere Menschen tötet. Von fünf Morden zu sprechen wäre also nicht ganz akkurat. Und Sorgfalt ist Jack immens wichtig. Er ist ein Serienmörder mit einer Zwangsneurose, schließlich muss er alles sauber halten. Beim zweiten Mord kehrt er immer wieder an den Ort des Verbrechens zurück, um sicherzugehen, dass auch nirgendwo Blutflecken sind. Er will es zwar nicht, die sich nähernden Polizeisirenen plärren ihm zu, dass er abhauen soll. Aber die Vorstellung, dass unter einem Stuhlbein ein Fitzelchen Blut sein könnte, das die Wohnung verunreinigt, ist für Jack schlimmer als alles andere.

Nun sollte man aber von Lars von Trier im Allgemeinen und von The House that Jack Built im Besonderen keinen reinen Genrefilm erwarten. Der Film erzählt nicht davon, wie Jack geschnappt wird. Oder wie er seinen Morddrang im Alltag kontrollieren kann. Das macht die Hauptfigur auch relativ schnell deutlich, wenn sie erzählt, wie Gott scheinbar dafür sorgte, dass Jack nicht erwischt wird. Lars von Trier lässt Jack erklären, wie er sich als Mörder fühlt, er versucht in den Kopf eines Mörders zu dringen und dem Zuschauer offen darzulegen. Mit einer an Antichrist erinnernden Darstellung erklärt er die Phasen des Tötungszyklus. Mit einer geschichtlich, gesellschaftlich und künstlerisch intellektuellen Weise möchte Jack seine Morde stets als Kunstwerk interpretiert haben. Verglichen mit den Diskussionen zwischen Joe (Charlotte Gainsbourg, Antichrist) und Seligman (Stellan Skarsgaard, Melancholia) in Nymphomaniac wird diese vereinnahmende Dichte jedoch hier nicht erreicht.

Viel interessanter jedoch, und augenscheinlicher Hauptgrund für diesen Film, ist Lars von Trier selbst. Der Regisseur und sein Schaffen. Selten waren die Grenzen fließender als hier. Von Trier nutzt seinen Film auf mehrere Arten als Sprachrohr. Einerseits lässt er seine Karriere Revue passieren, schneidet sogar Momente aus den meisten seiner Werke ein. Andererseits rechnet er mit dem Publikum ab, das bei jedem seiner Filme und Aussagen einen Aufstand macht, als hätte er jemanden umgebracht. Das ist der einfache aber konsequente Schlüssel für die Interpretation des Werkes. Jack sieht seine Morde als Kunstwerke an, Lars von Triers Kunstwerke werden als Morde gesehen. Jacks Argumentation und Thesen sind in großen Teilen deckungsgleich mit denen Lars von Triers. Jack findet, Kunst ist wichtiger als jedes Menschenleben. Jack findet, das entstandene Werk heiligt die Mittel der Entstehung. Jack findet, Kunst findet in der Zerstörung statt, nicht ausschließlich im Liebevollen.

Lars von Trier ist sich natürlich völlig bewusst, was er seinem Publikum hier vorsetzt. Er kommt auf die fortlaufend vorgeworfene Misogynie, die in Cannes begonnenen Nazi-Vergleiche, auf die extreme Gewalt zu sprechen - und potenziert alles ins Unerträgliche. You ain’t seen nothing yet. Die von Jack erzählten fünf Ereignisse gleichen in ihrer Wirkung Snuff-Filmen. Zynisch, eiskalt, unmenschlich. Das zwei Stunden lang auszuhalten ist nicht einfach. Immer unangenehm, teilweise unanschaubar, schlichtweg unfassbar, was hier auf der Leinwand passiert. Von Trier ist überzeugter Pessimist (hust, Realist). Dem Menschen gehen langsam die Möglichkeiten aus, so zu tun, als wäre er in seinem Inneren ein gutes Wesen. Er muss sich seinem Naturell bewusst werden, er muss akzeptieren dass jeder Mensch eine Hölle in sich besitzt. Und dennoch ein scheinbar kleines Fünkchen Hoffnung. Jack und Verge sprechen über die berühmte Eiche, die Goethe unzählige Male zu seinen Meisterwerken der Reinheit inspiriert haben. Später sei um die Eiche herum das KZ Buchenwald entstanden. Reichlich zynisch. Und dennoch bedient sich Lars von Trier bis zum Ende an Goethes Faust. Verge ist Gott und Mephisto gleichzeitig, der Himmel und die Hölle sind die selbe Sache. Von Trier nutzt dieses unbestrittene Meisterwerk, um dem Film einen Epilog zu geben, wie ihn nur der Däne inszenieren und bebildern kann.

Auch die Lars von Trier stets vorgeworfene Misogynie findet hier Anklang. Ungeachtet dessen, ob die Vorwürfe gerechtfertigt sind oder nicht (der Autor ist in der Hinsicht kein Experte), Verge hinterfragt, warum die meisten seiner Opfer bräsige Frauen sind. Jack beteuert, dass er bloß zufällig gewählte Geschichten erzähle. Offen gesagt findet der Filmemacher in der Hinsicht keine wirklich zufriedenstellende Antwort. Jack zieht seinen Kopf dabei irgendwie aus der Schlinge, die Frage bleibt aber im Raum. Zuletzt die Nazi-Kontroverse. Bei der Pressekonferenz von Melancholia kam es zum Skandal, weil Lars von Trier ironisch (wohl nicht ironisch genug) Sympathie für Hitler aussprach. Wen das empörte, der sollte einen riesigen Bogen um The House that Jack Built machte. Jack empfindet Adolf Hitler als Künstler. Ein Künstler, der Meisterwerke der Zerstörung geschaffen hat. Was andere als Sadismus sehen, empfindet Jack als Großtat. Perfide zwar, aber so wirkungsvoll, dass er um Anerkennung nicht herum kommt.

Aber was heißt das denn jetzt alles? Heißt die Wertung unter diesem Text, dass der Autor jeglichen Inhalt gutheißt? Genauso fragt sich Lars von Trier selbst (als Resonanz auf die Diskussionen in der Filmwelt), ob das, was er an Gewalt und Perversion in seinen Filmen zeigt nur ein Katalysator dafür ist, dass er diese Gewalt und Perversion nicht in der Realität ausleben kann. Jack findet diesen Vergleich unpassend. Aber macht dieser Text mit dieser runden Zahl am Ende nicht Werbung für diesen Film? Und damit Werbung für die Leichenschändung von Kindern und der Darstellung von Hitler als Künstler mit dem Holocaust als sein Meisterwerk? Wurde nach dem Film für Misogynie und Menschenverachtung applaudiert? Sicherlich nicht, auch wenn da jeder für sich selber sprechen muss. Der Autor applaudierte nicht. Er war sich unschlüssig. Hin- und hergerissen zwischen Geschmacklosigkeit, künstlerischer Hoheit und der Tatsache, dass sich Lars von Trier wie ein offenes Buch lesen lässt und so verletzlich macht, wie noch nie zuvor.

Ein zentraler Gedanke der Nouvelle Vague kommt hier zum Tragen (und The House that Jack Built ist so sehr Godard, wie noch kein von Trier-Film zuvor): Ein schlechter Film eines guten Regisseurs ist mehr wert als ein durchschnittlicher Film eines schlechten Regisseurs. The House that Jack Built ist kein schlechter Film, aber ein wissentlich überfordernder. Es ist völlig in Ordnung, von dieser moralischen Verwesung angewidert zu sein, den Film zu hassen und ihm seinen Stellungswert oder seine Relevanz abzusprechen. Für diejenigen, die sich für den Regisseur aber immer noch interessieren, sollte dieses Werk ein Geschenk sein. Es sollte ebenso völlig in Ordnung sein, dem Künstler etwas zuzutrauen, vor allem wenn er derart offen arbeitet. Von leicht weinerlich über hämisch, von todtraurig bis zur beißenden Selbstironie schwankt Lars von Trier durch die Emotionen in seinem Film, den er herrlich mit dem Lied Hit the Road, Jack! abschließt. In der selbstironischen Weisung, nie wieder einen Film zu machen.

Fazit

Ein Selbstgespräch mit Gott in der Kloake. Lars von Trier ist sich völlig bewusst, was er hier dem Publikum vorsetzt. Das lässt sich bestimmt als Provokation um seines selbst Willen abtun, wäre jedoch nicht vollends fair. Jack ist als Serienkiller ein satirisches Medium für seinen Regisseur, der sch selbst und seine Filme einschätzt. Mal selbstkritisch, mal provokant, mal etwas weinerlich. Einen Serienkiller-Genrefilm zu erwarten (oder diesen Fehlgedanken dem Film anzulasten) wäre falsch. Natürlich ist „The House that Jack Built“ irgendwo Horrorkino, allein wegen des dargestellten Grauens und dem expliziten Gore, aber vor allem ist der Film eine Charakterstudie seines eigenen Regisseurs. Ob gelungen oder nicht, ob wertvoll oder nicht; dieser Film ist so einzigartig und so eine riesige Frechheit. Lars von Trier erweitert einmal mehr die Grenzen des Weltkinos.

Kritik: Levin Günther

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