Jung und unschuldig stellt ein oftmals kaum entsprechend gewürdigtes Werk von Alfred Hitchcock aus seiner späten, britischen Phase der 30er Jahre dar, welches allerdings bereits nahezu alles beinhaltet und konzentriert, was ihn zu so einem einzigartigen und progressiv-wichtigen Künstler seines Faches etablieren sollte. Zeit für eine Richtigstellung und ein Loblied auf einen kleinen Klassiker, über den kaum gesprochen wird.
Alles beginnt mit einem Ehestreit. Oder eher einem Ex-Ehestreit. Kurz danach wird ihre Leiche am Strand angespült, nebst des Mordwerkzeuges, einem Gürtel. Ausgerechnet der ihr gut bekannte Drehbuchautor Robert (charismatisch, bestechend und trotzdem keine große Karriere gemacht: Derrick De Marnay, Was kommen wird) findet den leblosen Körper des Filmstars Christine Clay vor und hat nicht nur deshalb ein heftiges Problem: Abgesehen davon, dass den beiden aufgrund ihrer guten Berufsbeziehung eine romantische Affäre angedichtet wird und er - auch für ihn sehr überraschend - in ihrem Testament mit einer stattlichen Summe bedacht wurde, die Tatwaffe gehört zu seinem Regenmantel, der ihm kurz zuvor entwendet wurde. Das glaubt natürlich niemand und so sollte Robert schnell wegen Mordes vor Gericht stehen…wenn er sich nicht in letzter Sekunde aus dem Staub machen würde. In der Gewissheit, dass nur über den Diebstahl des Mantels seine Unschuld bewiesen werden kann, ist sein Ziel die Fernfahrertaverne „Tom’s Hat“, wo ihm das Kleidungsstück entwendet wurde. Überraschende Hilfestellung bei diesem Unterfangen erhält er ausgerechnet von Erica (Nova Pilbeam, Der Mann, der zuviel wusste), der kessen Tochter des Polizeichefs.
Wodurch definiert sich ein guter Hitchcock-Film in der Regel? Es gibt eine schnelle, einfache, in der Folge an sich nicht unbedingt detailliert wichtige, aber für den gesamten Verlauf enorm effektive, anhaltende Prämisse (im Extremfall der Macguffin, hier ist man sehr nah dran). Eine im Idealfall - hier nehmen es allein der Titel und die kaum anders auszulegende Eröffnungssequenz vorweg – unschuldige Person auf der Flucht. Die fettreduziert, spannend, dennoch humorvoll und mit diversen, narrativen wie inszenatorischen Highlight-Sequenzen veredelt wird. Wenn es richtig rund läuft, sind sogar die Darsteller spitze und natürlich darf auch der Suspense nicht fehlen. Eine Form von Anspannung, die darauf beruht das man als Zuschauer selbst aus augenscheinlich sehr harmlosen oder banalen Szenen Nervenkitzel gewinnt, da der Dirigent dies durch diverse Informationen und Konstruktionen im Vorfeld erst bewusst generiert. All das bietet Jung und unschuldig in seinen schlanken 80 Minuten zuhauf und kann damit als eine Art Teststrecke für spätere Hitch-Meisterwerke betrachtet werden. Ohne diesen Film gebe es wohl nie einen Der unsichtbare Dritte, zumindest nicht in der bekannten Form. Und das ist nur ein Beispiel.
Mit einem enormen, aber nie überhasteten, hektischen Tempo versteht es Hitchcock bald intuitiv, was für den Plot relevant und was nur ausbremsend wäre. Rasant treibt er seine Lieblingsprämisse voran, mit einem deutlichen Verweis auf ein ganz persönliches Jugendtrauma. Die Angst vor der Polizei kompensiert er darin, sie als schusselige Trottel der Lächerlichkeit preiszugeben. Insbesondere, wenn zwei auffällig dusselige Exemplare auf einem Schweinetransporter Platz nehmen müssen – bei ihres Gleichen. Der ironische Ton, er dominiert alles in Jung und unschuldig, der gelegentlich kaum anders auftritt als astreine Screwball-Comedy. Wegen der schnippischen Dialoge, der pointierten Situationskomik, der wunderbaren Chemie des Hauptdarsteller-Couples. Dennoch nie sein Wesen als Thriller aus den Augen verliert und seine Geschichte logisch wie konstruktiv weiterentwickelt. Die Kombination aus all diesen Elementen, das machte Hitchcock’s große Stärke aus. Allein wie außergewöhnlich unter diesem Gesichtspunkt eine bald skurrile Szene ist, wenn unser zickig-neckisches Pärchen während der Hochphase der Flucht durch einen Kindergeburtstag zwangsweise ausgebremst wird, obwohl sie genau dafür nun wirklich keine Zeit hätten. Das spiegelt wunderbar den situativ-famosen, stichelnden, aber nie wirklich bösartigen Humor von Hitchcock auf den Punkt wieder. Und sorgt gleichzeitig durch eine der wohl objektiv harmlosesten Situationen für Spannung, durch Verzögerung. Einzigartig, wie selbstverständlich er das so bewerkstelligt.
Das Crescendo, wie es sich gehört, es findet seinen Höhepunkt wirklich erst kurz vor Schluss. Mit einer vielleicht unauffälligen, aber unglaublich brillanten Einstellung, wenn die Kamera zu einer durchgängigen, ewig langen Fahrt gleitet und schließlich den hinter einer Maskerade getarnten, wahren Mörder durch einen Zoom auf sein nervöses Blinzeln entlarvt. Nur für den Zuschauer, nicht für die Protagonisten. Wie er sich letztlich selbst völlig unnötig an’s Messer liefert, es passt perfekt in den gesamten Tonus dieses Films. Der die Brücke von Thriller zu satirischer Komödie so spielend schlägt, als wäre das keine große Sache.