Intellektuelles Unterhaltungskino. Klingt seltsam, ist aber keinesfalls unmöglich. Dieses vordergründig humpelnde Kompositum zweier sich augenscheinlich widersprechende Begriffe, ist existent und lebendig, wie Jason Reitman (Juno) beispielsweis immer wieder unter Beweis zu stellen weiß. Reitman nämlich gehört zu den talentierten Filmemachern, die genau diese Sparte mit Bravour bedienen: Thank You for Smoking, Up in the Air und Young Adult, seine bis dato besten Regiearbeiten, verzeichnen die geschmeidige Vereinigung von Kurzweil und Hintersinn; man kann mit ihnen viel Spaß haben und dennoch reichlich über die conditio humana, die Umstände des Menschseins, in Erfahrung bringen. Fast schon sinnfällig erscheint nun der Umstand, dass sich Jason Reitman in Der Spitzenkandidat dem politischen Tod von Gary Hart angenommen hat. Ein weiterer, selbstredend hochgradig sehenswerter Eintrag in das intellektuelle Unterhaltungskino.
Als demokratischer Senator aus Colorado sollte Gary Hart 1984 nach den parteiinternen Vorwahlen um die Präsidentschaftskandidatur Walter Mondale unterliegen. Vier Jahre später wurde er hingegen bereits als erster legitimer Nachfolger von John F. Kennedy gehandelt, mit überwältigender Mehrheit steigt er in den Präsidentschaftswahlkampf ein und avancierte zur Symbolfigur der Zukunft Amerikas: Seine Präsenz, seine rhetorische Finesse, sein Aussehen. Er war der Mann der Stunde. Bezeichnenderweise wurde Gary Hart, der das Präsidentenamt quasi schon während seiner Kandidatur sicher in der Tasche hatte, niemals zum mächtigsten Mann der Welt. Spekulationen um eine Affäre mit dem Model Donna Rice machten die Runde, wurden medial aufgebauscht und gleichermaßen ausgeschlachtet. Der Spitzenkandidat beschreibt einen kulturellen Wendepunkt innerhalb der öffentlichen Berichterstattung Amerikas: Das Private ist nicht länger Privatsache.
Hugh Jackman (Logan – The Wolverine) ist natürlich eine Idealbesetzung für den hochgradig attraktiven, wortgewandten, charismatischen Präsidentschaftsanwärter, der seiner Zeit zum Gesicht einer Ära des Aufbruchs und zur Stimme des Umschwungs wurde. Der Australier versteht es, den Zuschauer für sich zu begeistern, ihn einzunehmen, was den Gerüchten um den aufkommenden Sexskandal umso spannendere, sich auf zwei Ebenen entfaltende (Charakter-)Brüche zugesteht, gilt doch auch Jackman in der Realität als Saubermann mit weißer Weste. Ein Besetzung mit Methode also. Jason Reitman geht es in Der Spitzenkandidat gar nicht so sehr darum, das politische Programm Harts auf das Tableau zu bringen, auch wenn er immer weiter ein meisterhaftes Gespür dafür aufweist, sich durch die Eingeweide der von äußerem Druck befeuerten Wahlkampftour zu schälen. Ihm geht es um die Macht der Medien.
Und diese Macht ist natürlich auch eine destruktive. Gary Hart gilt als erster Politiker, dessen Karriere durch die Mechanismen der Regenbogenpresse gefressen, verdaut, wiedergekäut und ausgepuckt wurde. Der schwerwiegende Kontext in diesem Fall ist, dass sich arrivierte Intelligenzblätter wie die Washington Post und die Miami Herold diesen Mechanismen bedienten und im Zuge eines medialen Spießrutenlaufs einen ambitionierten Volksvertreter in die Knie zwangen, der die vier großen Ws mit besten Absichten verinnerlichte: Wirtschaft, Wissenschaft, Werte und Wandel. Jason Reitman allerdings begeht nicht den Fehler, Gary Hart als unantastbare Identifikationsfigur zu glorifizieren, auch wenn Der Spitzenkanditat schon eine gewisse Enttäuschung dahingehend veräußert, nie Zeuge davon geworden zu sein, in welche Dimensionen sich der Idealismus dieses Mannes hätte entwickeln können. Reitman lässt seinem Protagonisten Ambivalenzen, moralische Graubereiche, was diesen erst menschlich macht.
Genau diese Ambivalenzen sind es auch, die Der Spitzenkandidat zu einem mitreißenden Seherlebnis erheben, gibt es am Ende doch keine klaren Zuordnungen in Opfer und Täter, in schuldig und unschuldig, in Gewinner und Verlierer, in Mitleid und Verdammung. Stattdessen verlassen alle Seiten überdeutlich gezeichnet den Ring: Ernstzunehmende Medien haben sich dem Klatschblatt-Populismus hingegeben, Gary Hart hat sich etwas zu sehr auf die Strahlkraft seines Images verlassen – genau wie seine Anhänger und Wahlkampfunterstützer. Irgendwann artet die forcierte Schadensbegrenzung in ein ständiges Hin und Her aus Manipulation und Instrumentalisierung aus, während Jason Reitman es tunlichst vermeidet, eine klare Haltung spazieren zu tragen. Kein Urteil, keine Anklage, nur das präzise Beobachten und Dokumentieren der damaligen Gegebenheiten. Das nimmt dem Film zwar ein Stück seiner emotionalen Dringlichkeit, verfälscht aber auch den klaren Blick der Narration nicht.