Inhalt
In einem Heim finden junge Mädchen aus kaputten Elternhäusern eine neue Familie, eine Gemeinschaft, wie sie sie bisher nicht kannten. Ohne Krisen und Konflikte geht es auch hier nicht zu, dafür sind die Temperamente der jungen Frauen zu verschieden, ihr Lebenshunger zu groß, ihr Platz in der Gesellschaft zu prekär. Heimleiterin Lora ist immer für sie da, wenn sie sie brauchen.
Kritik
Zu emotionaler Kraft findet Frédéric Baillifs zweite Spielfilmarbeit dann, wenn die fragmentarische Handlung in den Hintergrund tritt und die Inszenierung sich ganz auf die physische Interaktion der jungen Laiendarstellerinnen konzentriert. Hätte der Schweizer Regisseur und Kameramann mehr auf das dramatische Momentum deren natürlicher Energie vertraut, wäre sein episodisches Sozialdrama womöglich der Film, der es mit aller Macht sein will. Doch die Story tut sich ähnlich den nur scheinbar selbstsicheren Protagonistinnen schwer, einen eigenen Weg zu finden.
Diese Unentschlossenheit hemmt den Plot genauso wie die Figuren. Ein halbes Dutzend jugendlicher Mädchen begleitet die dokumentarische Kamera während ihres Alltags in einem betreuten Jugendwohnheim, dessen Lage, pädagogische Ausrichtung und Struktur unklar bleiben. Ebenso schemenhaft bleiben die sozialen Hintergründe, Beziehungen und Persönlichkeiten der Mädchen, die meist als Gruppe auftreten und augenscheinlich auch mehr als solche denn als individuelle Charaktere wahrgenommen werden sollen. Gerade wo besondere Differenzierung gefragt wäre, entsteht somit ein trügerischer Eindruck von Uniformität.
Letztes blockiert sowohl die gesuchte dramatische Nähe zu den Figuren als auch deren Charakterentwicklung und bestärkt außerdem sozialpsychologische Vorurteile. In triviale Klischees verfällt der Filmemacher nahezu unweigerlich, sobald er sich aus der passiven Beobachterrolle wagt. Die Darstellung der Mädchen als sexuell dauerverfügbar wirkt voyeuristisch und in Verbindung mit deren ebenfalls stereotypen Missbrauchsberichten inkohärent. Die sozialpsychiatrische Qualifikation der Betreuer*innen wird erst idealisiert, dann nachhaltig untergraben und die im letzten Akt angehängte Systemkritik bleibt melodramatisch anmutende Behauptung.
Fazit
In seinem gleichermaßen an Ziellosigkeit und Oberflächlichkeit krankenden Jugenddrama changiert Frédéric Baillif zwischen den grundverschiedenen Perspektiven von weiblichen Insassen und Betreuungspersonal eines Jugendwohnheims. Die Herausforderung des Balanceakts zwischen Zuwendung und Distanz wird in Titel und Dialogen benannt, aber nie ausreichend ergründet. Statt erhellender Einblicke verfängt sich die um visuelle Authentizität bemühte Skizze in Milieuklischees und pädagogischen Phrasen. Zweite sprechen oft eher zum Publikum als zu den Figuren, die ähnlich schemenhaft bleiben wie die beherbergende Institution.
Autor: Lida Bach