Inhalt
Ein ehemaliger Polizist macht sich auf die Suche nach einem verschwundenen Mädchen, während der er jedoch ebenso mit seinen ganz eigenen Schwierigkeiten zu kämpfen hat.
Kritik
Manchmal scheint es so zu sein, dass gerade die Mutigen auf besonders harte Proben gestellt werden. Auch ohne seine ganzen, unverschuldeten Hürden hätte es die Adaption der gleichnamigen Graphic-Novel-Reihe aus konservativer Sicht nicht einfach gehabt, obwohl sich mit Warner Brothers eines der großen Studios schon 2016 die Rechte sicherte. Dort schien man dem als (Spielfilm)Regisseur und Autor in Personalunion debütierenden David Prior sogar relativ freie Hand zu lassen, was nicht nur in großes Vertrauen in dessen Fähigkeiten zeugt sondern ein positives Zeichen setzt in Bezug auf künstlerische Individualität, auch wenn diese nicht konform mit der Maximierung kommerzieller Interessen gehen mag. Dank der Warner Übernahme durch Disney wanderte das Projekt nun in Hände, die davon weitaus weniger überzeugt sein dürften und dann kam auch noch die Pandemie. Kurzum: The Empty Man stand kurz davor gänzlich von der Bildfläche zu verschwinden, dank des positiven Feedbacks bei seinem sporadischen US-Release im Oktober 2020 entstand dann aber schon so was wie ein kleiner Hype in zugegeben sehr mageren Zeiten.
Nun landet er hierzulande wenigstens in der Datenbank des neuen Streaming-Riesen und wird somit doch noch der breiten Masse zugänglich. Und dürfte wiederum für wilde Diskussionen sorgen, bewegt er sich trotz typischer Genre-Motive doch ziemlich bewusst in einem Grauzonenbereich, bei dem von Begeisterung bis Ernüchterung alles irgendwie einkalkuliert scheint. Allein die opulente Laufzeit von fast 140 Minuten könnte abschreckend für ein Publikum sein, welches sich aufgrund der Synopse auf einen Blumhouse-Spuk oder ähnliches einstellt. Generelle Erwartungshaltungen weckt The Empty Man über seine mehr als zwei Stunden immer wieder und dabei in verblüffend konträre Ausrichtungen, so dass es beinah egal ist, mit welchen eventuellen Tendenzen man im Vorfeld liebäugelt. Über die Handlung soll an dieser Stelle auch gar nicht so sehr ins Detail gegangen werden, lediglich auf diverse Parallelen, die man zu entdecken glaubt und daraufhin versucht sich ein Bild zu schaffen.
Eine klare Assoziation mag es anfänglich zu dem gerne unterschätzen Genre-Klassiker Candymans Fluch geben, bei dem wie hier eine Art Schreckgespenst als urbane Legende fungiert, die aus Leichtsinn und Nervenkitzel heraufbeschworen wird. The Empty Man verlässt diesen Weg zwar nicht umgehend und könnte genau genommen auch so bis zum Ende weitergeführt werden, lässt aber mehr oder weniger simultan noch einige andere Alternativ-Routen laufen, die sich zu einem verschlungenen Pfad verstricken, der jederzeit eine völlig überraschende Abzweigung nehmen könnte. In anderen Händen und mit einer anderen Herangehensweise wäre somit mühelos ein generischer Teenie-Schocker oder ein weiterer, belangloser Butzemann-Budenzauber von der Stange möglich bis sogar wahrscheinlich, doch David Prior orientiert sich eindeutig an höheren Ansprüchen. The Empty Man reiht sich erfreulicherweise ein in die Arbeiten von Männern wie Ti West (The House of the Devil), Jordan Peele (Get Out) und besonders Ari Aster (Midsommar), die das Horrorgenre in den letzten Jahren mit wirklich frischem Wind belebt haben, und nicht nur alten Wein in neuen Schläuchen kredenzen.
Die Mischung aus heimsuchenden Fluch ungeklärter Herkunft und okkultem Film Noir pendelt mal mehr, mal weniger elegant (da manchmal doch dem ein oder anderen Jump-Scare oder zu verkopft anmutenden Momentaufnahme erlegen) zwischen den Stühlen, ist aber von seiner grundsätzlichen Ausrichtung wahnsinnig selbstbewusst und punktet mit einer grandiosen Inszenierung. Allein der Score von Christopher Young & Lustmord und das pochernd-pulsierende Sounddesign sind phänomenal. Mit seiner unbehaglichen, jederzeit kaum greifbaren und dennoch so präsenten, fatalistischen Grundstimmung rettet sich The Empty Man über kleinere Engpässe in der ausgiebigen Erzählweise und schleudert einem ein Finish vor den Kopf, dass – im absolut positiven Sinne – sehr stark an einen im Nachhinein ihm doch überraschend ähnlichen Klassiker der 80er Jahre erinnert. Welcher das ist, dem sollte man lieber selbst auf den Grund gehen. Die Reise lohnt sich – wobei der Weg eindeutig das Ziel ist.
Fazit
Wunderbar unkonventioneller Hybrid aus diversen Horrorfilm-Motiven und Film Noir-Krimi, der sich kaum in die Karten gucken lässt und mit den Erwartungen wie der Geduld des Zuschauers sehr bewusst spielt. Dabei aber aufgrund seiner exzellenten Inszenierung nie ernsthaft Gefahr läuft, es zwischenzeitlich zu verlieren. Und wenn, trennt er damit nur die Spreu vom Weizen.
Autor: Jacko Kunze