Der Doppelagenten-Thriller The Age of Shadows wurde 2016 offiziell bei den Oscars in der Kategorie „bester fremdsprachiger Film“ eingereicht und wird im kommenden Juli endlich auch in Deutschland offiziell für den Heimkinomarkt veröffentlicht. Von Kim Ji-Woon erneut meisterlich inszeniert, zeigt der Film einmal mehr, weshalb das südkoreanische Kino zum Besten der Welt gehört.
Dabei mussten Fans über drei Jahre auf ein neues Werk des Regisseurs warten. Ähnlich der populären Kollegen Park-Chan Wook und Bong Joon-ho konnte Kim Ji-Woon der Verlockung dem Ruf Hollywoods zu folgen nicht widerstehen. Mit The Last Stand drehte er einen Actionthriller, in welchem er Schwarzeneggers Comeback im Schauspielfach einen kleinen Schubs gab. Das Ergebnis war absolut solide, gemessen am bisherigen Werk des Regisseurs jedoch nicht viel mehr als eine kleine Fingerübung. Sehr glücklich war er mit der Arbeit in Amerika jedenfalls nicht. Obwohl Schwarzenegger voll des Lobes über den Südkoreaner war, hatte Kim Ji-Woon mit großen Sprachbarrieren zu kämpfen und musste damit leben, dass Schauspieler und Produzenten mehr Einfluss auf seine Entscheidungen sowie seine Kreativität ausüben wollten (und konnten) als ihm lieb war. Da nützte es auch nicht viel, dass er mit einem Großteil seines Stammteams aus Südkorea angereist war. Mit The Age of Shadows findet der Regisseur jedoch zu alter Stärke zurück. Und ein Gutes hatte sein Ausflug nach Amerika doch: Warner Bros. übernahm fast sämtliche Produktionskosten.
Kim Jee-Woon – und das darf man zurecht nochmal betonen - ist ohne Frage einer der spannendsten Regisseure aus Südkorea. Was sein kreatives Schaffen bisher so interessant macht, ist die Tatsache, dass er sich bereits erfolgreich unterschiedlicher Genres angenommen hat. Vom ruhig inszenierten Horror eines A Tale of Two Sisters, über den atemlosen Actioner A bittersweet life bis zum Western The Good, the Bad, the Weird. Jedem Film konnte der Regisseur seinen eigenen Stempel aufdrücken, sprich Inszenierung und Kameraführung, insbesondere bei den Actionszenen, haben ihren ganz eigenen wiedererkennbaren Stil.
The Age of Shadows, dessen Handlung auf wahren Begebenheiten beruht, spielt im historischen Umfeld eines Koreas in den 20er Jahren. Eine Zeit, in der die Japaner ganz Korea besetzt hielten und überall Spione und Geheimdienste platziert hatten, um den Stolz der Einheimischen zu brechen und Mitglieder des Widerstands auszumerzen. Diese historische Einbettung ist für eine Handlung immer ein wichtiger Schlüsselfaktor dafür, ob ein Film funktioniert oder nicht. Kim Jee-Woon gelang es jedoch perfekt diese für Korea schwierige und auch sehr düstere Phase einzufangen: Riesige Sets mit ganzen Straßenzügen gehen Hand in Hand mit sparsam eingesetzten CGI-Animationen und lassen einem mehrfach die Kinnlade herunterklappen, so eindrucksvoll wird die damalige Zeit wiederbelebt.
The Age of Shadows beginnt dann auch mit einer visuell wahnsinnig toll inszenierten Verfolgungsjagd. Ein führender Kopf des Widerstands wird von der Polizei gejagt. Eine ganze Armee verfolgt einen einzelnen verzweifelten Mann, der zu entkommen versucht. Diese Armee wird von Lee Jung-Chool (dem großartigen Song Kang-Ho) angeführt, der der Einzige zu sein scheint, der versucht, den Flüchtling lebendig zu fassen. Hier kann man bereits zu Beginn der Handlung wichtige Charaktereigenschaften ableiten, die prägend für den weiteren Verlauf sein werden. Als der Widerstandskämpfer dann auch angeschossen und somit schwer verletzt umstellt ist, tötet er sich selbst. The Age of Shadows, so wird man es im Laufe des Films noch mehrfach gezeigt bekommen, ist ein Film über Männer, die bereit sind, für das zu sterben, an das sie glauben.
Wie bereits in The Good, the Bad, the Weird fokussiert sich Regisseur Kim Jee-Won auf drei Charaktere, die alle unterschiedliche Ziele verfolgen und untereinander in großem Konflikt stehen.Allen voran der Polizeichef Lee, der zwar koreanische Wurzeln hat, aber für die japanische Polizei arbeitet. Er hat den Auftrag die Hintermänner des Widerstands ausfindig zu machen und zu verhaften, spielt jedoch ein doppeltes Spiel. Er genießt den Respekt den ihm die Japaner für seine Dienste zollen und natürlich den damit gehobenen sozialen Status. Er sympathisiert jedoch auch mit einem freien Korea und ein Leben ohne Angst und Gewalt.
Eine weitere wichtige Rolle fällt dem Charakter Kim Woo-jin (Gong Yoo, vor kurzem mit Train to Busan internationale Bekanntheit erlangt), als neuer Führer des Widerstandes. Und dann gibt es noch den japanischen Agenten Hashimoto (Um Tae-goo), der so entschlossen ist den Widerstand zu stoppen, dass er bereit wäre einen ganzen Zug voller Menschen zu töten, nur um einen einzigen Widerstandskämpfer zu stoppen. Die Tatsache, dass Hashimoto und sein sadistischer Vorgesetzter als nahezu soziopathische Männer skizziert werden, die bereit sind, alles zu tun, um die aufständischen Koreaner zu stoppen, macht Lees Sympathien mit eben jenen wieder glaubwürdig. Da fällt es auch nicht negativ ins Gewicht, dass eine kleine obligatorische (verbotene) Liebesgeschichte zwischen Lee als Polizeichef und einer Heldin des Widerstands (gespielt von der hübschen Han Ji-min) eingewoben wird, da es den Charakter des eigentlich gnadenlosen und egoistischen Lee noch weiter vermenschlicht.
Es gibt wirklich lange Dialoge in Age of Shadows. Es wird diskutiert und debattiert, über Informationen, Doppelagenten und freiheitliche Werte geredet. Regisseur Kim weiß, dass er hier Genres wie Agententhriller, Drama und Action mischt und jedes Genre, sowie es mit einer passenden Szene im Film platziert wird, eine eigene Tonalität hat. Die Action ist schnell, hart und adrenalingetränkt. Aber es gibt auch längere Phasen, die äußerst ruhig inszeniert sind, wie eben jene bereits erwähnten dialoglastigen. Die Kamera verharrt, es gibt keine emotionalen Ausbrüche oder gar Action. Hier wird vom Zuschauer zuweilen etwas Geduld abverlangt. Eine Straffung hätte hier und da eventuell für einen besseren Erzählfluss und Rhythmus gesorgt, jedoch benötigt auch jede Entwicklung ihre Zeit.Im Kontrast dazu und womöglich als weiterer Negativpunkt interpretierbar ist der Fakt, dass die Handlung des Öfteren solch plötzliche Haken schlägt, dass man als Zuschauer wiederum so verwirrt wird, dass es schwierig ist der recht komplexen Geschichte in Gänze zu folgen. Jedoch wird zum Ende hin jeder lose Faden aufgenommen und befriedigend zu Ende gebracht.
Perfekt ausgearbeitet ist natürlich wieder die Actionchoreographie, die in Sachen Gewalt keinerlei Kompromisse eingeht -so wie man es von Kim gewohnt ist. Eine dieser Szenen sowie Herzstück und vorläufiger Höhepunkt des Films ist eine lange Zugfahrt nach Seoul, da sich hier die „guten“ Spione und Widerständler (mit einer Tonne Sprengstoff im Gepäck) genauso wie die „bösen“ Verfolger an Bord befinden. Die Spannung ist schier unerträglich, zumal Lees Rolle und die Frage, auf welcher Seite er letztendlich steht, bis dahin immer noch ungeklärt ist. Diese Zugsequenz ist so toll konzipiert und inszeniert, dass sich dafür allein schon eine Sichtung des Films lohnt. Schließlich entlädt sich alles in einem explosiven Höhepunkt.Kim Ji-Woon als Filmemacher zeigt hier, dass er viel mehr kann als nur Action. Er erzeugt wie schon in I saw the Devil eine äußerst bedrückende Atmosphäre und Anspannung, in der man nicht weiß, was als nächstes geschieht.
Nebst der überragenden visuellen Inszenierung (man kann sich an den historischen Kulissen und wieder einmal genialen Kamerafahrten nicht satt sehen) ist es vor allem auch Song Kang-ho, der das Interesse des Zuschauers trägt. Gong Yoo ist zwar der größere Sympathisant und ihm kommt wohl die traditionelle Heldenrolle zu, aber dem Regisseur scheint sehr wichtig, dass wir die Geschichte durch die Augen jenes Mannes sehen, der in einem moralischen Dilemma steckt und zwischen Japanern und Widerständlern gefangen scheint. Der Star von The Host, Durst oderSnowpiercer spielt die Rolle jedenfalls fantastisch und legt diese entsprechend sehr ernst und nachdenklich an. Immerhin ist Lee ein Mann, der egal wie er sich entscheidet, ein prägendes Kapitel in der Geschichte seines Landes spielen wird.
Letztendlich macht jeder Darsteller einen absolut passablen Job, auch wenn einige Nebencharaktere noch ein bisschen mehr Leinwandzeit und Hintergrund verdient gehabt hätten. Eine unbequeme Foltersequenz im letzten Kapitel des Films wäre noch weit unerträglicher und emotionaler ausgefallen, hätte man noch mehr zu der Person und ihren Beweggründen gewusst.Aber vielleicht ist gerade dies auch ein bewusstes Stilmittel, denn die Agenten selbst wussten untereinander nicht viel über den jeweils anderen.
The Age of Shadows handelt im Kern der Handlung von einem Mann, der zwischen eigenem Land und Pflicht gefangen ist. Er kann sich nicht entscheiden, in einer Welt, in der er eine sehr gute Stellung hat und den Japanern bereits Jahre loyal gedient hat, aber in der seine eigenen Landsleute gefoltert werden. Immer wieder trifft er im Laufe der Handlung folgenschwere Entscheidungen und spinnt ein Netz aus Lügen, die ihn weder der einen, noch der anderen Seite eindeutig zuordnen lassen und schwer nachvollziehbar machen, welches höhere Ziel er letztendlich verfolgt. Und das ist es, was einen Spionagethriller ja letztendlich seine Spannung beschwert: Wen kann man wirklich trauen und wem nicht? Für Lee gibt es kein Schwarz und kein Weiß, er ist hin- und hergerissen und alles vermischt sich zum einem Grau des Schattens, der sich über diese Zeitalter legt.