Inhalt
In einem Land, das Mörder als Helden feiert, wagt es Joshua Oppenheimer mit "The Act of Killing", sich dem Tabu und dem Terror zu stellen. Um die Geschichte des Genozids an über einer Million vermeintlicher Kommunisten in Indonesien nach dem Militärputsch 1965 zu erzählen - eine Geschichte, die die Opfer und ihre Nachfahren auch heute noch nicht zu erzählen wagen - entscheidet sich der junge amerikanische Regisseur für den einzig möglichen Weg: er spricht mit den Mördern. Stolz und frei von jeglicher Reue erzählen sie von den Morden und sind freudig bereit, ihre Taten für ein Filmprojekt nachzuspielen und sich selbst zu inszenieren. Das Ergebnis ist ein filmischer Fiebertraum, eine verstörende Reise in die Psyche der Mörder und das schockierend banale Regime von Korruption und Propaganda, in dem sie leben.
Kritik
Die Eltern des amerikanische Filmemachers Joshua Oppenheimer flohen in der 40er Jahren aus Nazi-Deutschland in die USA. Der Holocaust war fortan ein Thema, dass Oppenheimer nicht mehr loslassen sollte.Auf einer Reise durch Indonesien wollte er ursprünglich eine Dokumentation über die Nachfahren der Opfer eines Genozides an über einer Million Gewerkschafter, eingewanderter Chinesen und Kommunisten während eines Militärputsches in den Jahren 1965 und 66 drehen, als er schließlich herausfand, dass die Täter noch immer unbehelligt durch die Straßen laufen, ein wohlhabendes Leben führen und sich sogar mit ihren Taten brüsten. Mörder, die sich nie für ihre Taten verantworten mussten. Oppenheimer nutzte die einmalige Chance, diese indonesischen Massenmörder vor der Kamera zu Wort kommen zu lassen. Doch der amerikanische Regisseur ging noch weiter und bat die Männer ihre grausamen Taten vor der Kamera nachzuspielen. Dabei entwickelte sich schnell eine Eigendynamik, denn die Täter nutzten diese Gelegenheit und das Equipment der amerikanischen Filmleute um ihren eigenen Film zu drehen.
Während des Massenmordes, vor allem von Kommunisten im Land, rekrutierte das Militär sadistische und angsteinflößende Killer, um überall im Land Schrecken zu verbreiten und um den kommunistischen Gedanken schon im Keim ersticken zu können.Einer dieser Vollstrecker und Mörder von Tausenden war Anwar Congo, den Oppenheimer geschickt in den Mittelpunkt seiner Dokumentation rückt. Am Anfang des Films deutet Congo auf ein altes schwarz-weiß Foto. Dieses zeigt ihn mit ausgewaschenen Shirts, Tarnhose und weißen Turnschuhen. Cool wollte er damals aussehen und seine Filmidole wie Charles Bronson, Al Pacino oder John Wayne imitieren.
Obwohl bald 70 Jahre alt, wirkt Congo noch immer körperlich und geistig fit. Er versprüht auf den ersten Blick einen altersweisen Charme, dem man sich nur schwer entziehen kann. Doch Congo nutzt Oppenheimers Film um erschütternde Details aus seiner Vergangenheit zu erzählen. Details, die in der Öffentlichkeit lange abgestritten wurden und die er selbst mit Alkohol und Drogen verdrängt hat. Dabei braucht Oppenheimer nicht einmal rhetorische Mittel, um Congo und seine Handlanger unverblümt von ihren Morden und korrupten Politikern berichten zu lassen. 40 Jahre nach ihren Verbrechen glauben die Täter, kein Gericht dieser Welt könne sie jetzt noch belangen. Ja sie legen gegenüber Oppenheimer regelrecht Geständnis hab.
Fast jede Nacht, so erzählt Congo, wird er von den Geistern der Opfer, die durch seine eigene Hand starben, in seinen Träumen verfolgt. Congo und seine Handlanger waren schon kriminell und skrupellos, bevor sie vom Militär instrumentalisiert wurden. Sie bezeichnen sich als „Gangster“, was sie mit „freier Mann“ übersetzen. Zwei Begriffe, die sie ständig benutzen. Was in der Dokumentation so bedrückend ist, sind nicht nur die Einblicke in Indonesiens unrühmliche Vergangenheit, sondern die Gangster zeichnen auch ein Bild der Gegenwart. Indonesien mag nach dem Rücktritt des Diktators Suharto einen Schritt in die Demokratie gegangen sein, doch noch immer sind die Mörder von damals präsent und kontrollieren Politiker und Geschäftsleute. Und die Menschen fürchten sich noch immer vor ihnen. Das bekommen vor allem chinesische Ladenbesitzer zu spüren, denen nichts anderes übrig bleibt, als gegen Gewaltandrohung einen Teil ihrer Einnahmen als Schutzgeld an Safit Pardede abzudrücken. Pardede gehört mit zu den abstoßendsten Kriminellen im Film. Später wird er vor laufender Kamera zugeben, welch Spaß ihm die Vergewaltigung von 14 Jahre alten Mädchen bereitet. Für den Zuschauer ist das äußerst unbequem. Man fühlt sich unweigerlich mit einer Hilfslosigkeit und Ohnmacht konfrontiert, denn man kann nichts dagegen tun, dass offensichtlich grausame und gewissenlose Menschen so offen und ohne Konsequenzen von ihren Vergehen berichten dürfen.
Da Oppenheimer die Einblicke in den indonesischen Alltag oft unkommentiert und frei jeglicher Bewertung lässt, sollte man kritisch hinterfragen, ob hier nicht ein arg verzerrtes und düsteres Bild von Indonesien gezeigt wird. Ob alles wahr ist, was Congo erzählt, bleibt ebenso im Dunkeln. Ein Urlaub im viert bevölkerungsreichsten Staat der Welt scheint hier fast undenkbar, denn Demokratie, so heißt es oft im Film, wäre nur ein Wort und würde dem Land nichts Gutes bringen. Korruption und Willkür dagegen scheinen in der Politik fest verankert. Hochrangige Parlamentarier glorifizieren in der Öffentlichkeit die selbsternannten Gangster und deren Gewalttaten, der Geschäftsführer einer Zeitung gibt zu, dass er oft gefälschte Interviews veröffentlicht, um Kommunisten und andere unliebsame Kräfte in ein falsches Licht zu rücken. Damals, während der Massenmorde, reichte solch ein Interview schon aus, um einen eigentlich unschuldigen Menschen auf eine Todesliste zu setzen.
Schockierend sind auch Szenen, in denen Chongos Freund und Henker Adi Zulkadry absolut gefühllos mit einem Lächeln von seinen Morden erzählt. Diese Aussagen werden nämlich Szenen gegenübergestellt, in denen man Zulkadry auf Shopping Tour mit den gut eingekleideten Frau und Tochter, denen es an nichts zu mangeln scheint, sieht. „Es waren nicht die Kommunisten die grausam waren“ sagt Zulkardy, „ich bin mir dessen absolut bewusst, dass wir selbst grausam waren“.Bisher unbehelligten Tätern solche Geständnisse zu entlocken, ist die größte Stärke von Oppenheimers Dokumentation. Ab einem bestimmten Punkt können sie nicht mehr aufhören, von ihren Verbrechen zu erzählen, brauchen aber andererseits ihre Familien, ausgefallene Hobbys und alkoholgetränkte Feiern als Anker zur Realität, um mit den Taten leben zu können.
Neben all den Interviews zeigt Oppenheimer auch immer wieder Aufnahmen der Dreharbeiten zu Congos Film, quasi eine Dokumentation innerhalb der Dokumentation. Ein Film, der natürlich nur ein geringes Budget zur Verfügung hatte und dessen Inszenierung somit unfreiwillig komisch, teilweise sogar surreal wirkt. Während die Verbrechen sehr düster und blutrünstig nachgespielt werden, werden auch immer wieder kitschige Fantasy-Szenen gedreht. Congos bester Freund, der ehemalige paramilitärische Führer und Schlächter Herman Koto, präsentiert sich in den Filmszenen sogar als peinliche Drag-Queen.
Da wären wir dann wieder bei der treffenden Bezeichnung der „Banalität des Bösen“, der von der deutschen Philosophin Hannah Arendt geprägt wurde. Es gab wohl noch nie solch eine bedrückende, grausame und entlarvende Dokumentation, in der Mörder so offen von ihren Taten berichten und in der die Kamera so nah und fast schon intim an diesen klebt. Distanz wird für uns allein dadurch geschaffen, dass in der Dokumentation ein anderes Land mit einer anderen Kultur und Sprache gezeigt wird. Weit weit weg von Deutschland. Doch wie wäre es, wenn Naziverbrecher nie für ihre Taten belangt worden wären und diese ohne Reue vor einer Kamera nachstellen würden?
"Einen derart kraftvollen, surrealen und erschreckenden Film habe ich seit mindestens einem Jahrzehnt nicht gesehen." Werner Herzog
Während der zweieinhalb Stunden Laufzeit der untertitelten Dokumentation häufen sich Taten und Verbrechen zu einem Ausmaß an, dass dies für den einen oder anderen Zuschauer mit schwachem Magen nur schwer erträglich sein dürfte. Congo selbst wird am Ende von seinen Geistern eingeholt. Während er bisher mit einem Lächeln, tanzend oder mit den Neffen im Arm erzählte, dass er seine Morde mit reinem Gewissen ausgeführt hat, schlägt seine Stimmung plötzlich um, als er in einer Szene seines Films selbst das Opfer spielt und nach psychischer Folter mit einem Draht stranguliert werden soll. Erst jetzt scheint Congo zu verstehen, was er vielen Menschen angetan hat, wieviel Angst und Schrecken er verbreitet hat, wieviele Kinder er elternlos zurückließ. Er kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. Als er an einen Platz zurückkehrt, an dem er selbst unzählige Menschen stranguliert hat, beginnt er zu würgen. Eine Szene, die doch arg gestellt wirkt. Es erscheint fraglich, dass Congo tatsächlich späte Reue empfindet und sich zudem dabei filmen lässt, wie er sich übergibt und dann in gebückter Haltung von dannen geht. Das ist zumindest ein Moment, den Oppenheimer regelrecht seziert und mit dem er seine Dokumentation ausklingen lässt. Ein nahezu perfektes Ende.
Produziert wurde „The Act of Killing“ übrigens von Werner Herzog und Errol Morris, die selbst schon maßgebende Dokumentationen erschufen und von den ersten Testvorführungen von Oppenheimers Werk nachhaltig beeindruckt waren.
Fazit
„The Act of Killing“ ist eine meisterlich inszenierte Dokumentation über Propaganda, Manipulation und Lügen, die ihrerseits zu Macht und Terror führen. Noch nie hat es ein Regisseur geschafft, das Innenleben von Mördern, Psychopathen und Faschisten so nach außen zu kehren und somit den Schrecken fassbar zu machen. Joshua Oppenheimer demaskiert das Grauen, indem er die Täter so darstellt, wie sie sich selbst am liebsten sehen. Das ist oft schwer erträglich und schockierend, gleichzeitig jedoch unglaublich mutig inszeniert.
Autor: André Schiemer