Inhalt
Ein Geschwisterpaar zieht seit Jahren schon durch eine verwüstete Stadt, immer auf der Suche nach Nahrung und Unterschlupf. Als sie endlich das letzte intakte Gebäude finden, treffen sie im Inneren auf einen Mann, der ihnen ein gefährliches Angebot unterbreitet.
Kritik
Ein Titel wie "We are the Flesh" macht neugierig. Roh und verdorben klingt das, mit einer Spur inhärenter Lust und Dunkelheit, eben genau die Assoziationen, die ein Horrorwerk auszeichnen sollten. Doch We are the Flesh von Neuregisseur Emiliano Rocha Minter ist anders. Ja, er ist roh und verdorben, er ist lustvoll und düster, aber er ist kein klassischer Horrorfilm, obwohl er alle Zutaten eines Schockers in sich trägt. Viel mehr ist der Film ein Exzess-Experiment, ein wütender Aufschrei des Filmemachers gegen die Existenz selbst und ein Versuch das Leben in all seiner Gänze mit voller Wucht anzurotzen, seinen niederen Trieben Auslauf zu geben und der normgesteuerten Welt den Mittelfinger voll in die Fresse zu schlagen.
Und dieser Versuch beginnt zunächst hochgradig vielversprechend. Bei einem Film wie We are the Flesh muss man sich immer die Frage stellen, ob das Gezeigte eine Botschaft beherbergt oder zu reinem Selbstzweck verkommt. Auch laute Schreierei kann tiefgründig sein, egal wie plakativ sie daherkommt. Und im ersten Drittel des Films sieht auch noch alles danach aus. Minter formuliert interessante Thesen und Ansichten über Isolation, Einsamkeit und das Dasein überhaupt und lässt seinen Hauptdarsteller Noé Hernàndez ("600 Miles") zu voller Schauspiellust aufblühen. Mitsamt seines diabolischen Grinsens agiert Hernàndez natürlich total Over the top, aber das passt sich ganz wunderbar in diesen exzessiven Film, der nicht subtil und vorsichtig vorangeht, sondern dem Zuschauer seine Ideen und Symbolik mit dem Holzhammer auf den Kopf schlägt.
Hinzu kommt, dass Regisseur Minter ein beeindruckendes Gespühr für Visualität an den Tag legt, gerade für ein Erstlingswerk. Die Kamerafahrten sind überlegt und überraschend, der Film sieht, trotz seines begrenzten Settings, abwechslungsreich und teils beeindruckend anders aus. Minter schafft es seine persönlichen Emotionen und Ängste erfolgreich zu katalysieren und sie in eigenartiger und extrem faszinierender Form auf die Leinwand zu werfen.
Doch We are the Flesh hält dieses hohe Niveau nicht durch und tappt in eine Falle, in die viele Regisseure und Regisseurinnen treten, die sich mit Themen wie Wahnsinn, dem Dasein und Wut auseinandersetzen. We are the Flesh kippt in Richtung des reinen Selbstzwecks. Nachdem der Film in der Mitte einen heftigen Bruch eingeht, verzichtet Minter plötzlich komplett auf eine Botschaft und überlässt der visuellen Symbolik das Feld. Dabei bleibt der Film höchst plakativ: Von unendlichen Inzestszenen, über abgeschlagene Köpfe, Masturbation und ausscheidenden Körpersäften zieht Minter alle Register des typischen Schockfilms und haut sie in einer öden Wahllosigkeit auf die Leinwand, dass der Film irgendwann all die Faszination einbüßt, die er zu Beginn noch versprühte. We are the Flesh lebt plötzlich nicht mehr davon eine persönliche Botschaft in die Welt zu schreien, sondern davon den Zuschauer höchstmöglich zu schocken.
We are the Flesh ist ein Film, der den Zuschauer abstoßen will, der emotionale Grenzlebigkeit und schlichtweg Anarchie auf die Leinwand bringen und damit schocken will. Und dabei führt der Film mit seinen zwei verschiedenen Hälften ganz großartig vor, wie man dies zugleich richtig und falsch machen kann. Auf der Habenseite der zweiten Hälfte steht irgendwann nur noch die starke Kameraarbeit und das zutiefst emotionale Schauspiel der Darsteller. Der Rest fällt unter seinem eigenen Wirrwarr aus platter Wiedergeburts- und Höllensymbolik komplett in sich zusammen und erstickt so ein regietechnisches und erzählerisches Potenzial, was man in Zukunft trotz all der Fehler des Films definitiv im Auge behalten sollte.
Fazit
Zu Beginn funktioniert Emiliano Rocha Minters Wutwerk "We are the Flesh" in all seiner plakativen Visualität noch ganz wunderbar, doch irgendwann bricht der Film unter seiner eigenen Last zusammen, wird im wahrsten Sinne des Wortes aufgrund des eigenen Anspruches wahnsinnig, ohne diese wilde Anarchie aber gelungen spürbar zu machen. Viel eher verkommt "We are the Flesh" trotz starker Kameraarbeit und exzentrischem Schauspiel irgendwann zur leeren Zirkusshow, die sich nur noch auf dem Anspruch fußt den Zuschauer größtmöglich zu schocken.
Autor: Thomas Söcker