Inhalt
Paul Averhoff war einst ein großer Marathonläufer, eine Legende, Gewinner der Goldmedaille in Sydney 1958. Zu seiner Zeit. Jetzt, mit weit über 70, zieht er nach wiederholten Stürzen seiner Frau Margot nach vielen glücklichen Jahren aus dem vertrauten Zuhause aus - auch weil Tochter Birgit sich nicht kümmern kann; sie jettet als Flugbegleiterin durch die ganze Welt und ist nur selten greifbar. Im Altersheim, wo Paul sich plötzlich zwischen Singkreis und Bastelstunde entscheiden muss, drängt sich die entscheidende Frage auf: das soll es gewesen sein? Nicht mit Paul. Um nicht in tiefe Depression zu verfallen, zieht er seine alten Rennschuhe an und beginnt im Heimpark zu laufen. Tag für Tag. Runde für Runde. Anfangs schleppend und jämmerlich, dann aber immer schneller. Seine Heim-Mitbewohner halten ihn für verrückt, zumal er behauptet, für den Berlin Marathon zu trainieren und ihn auch gewinnen zu wollen. Als sich Margot dazu überreden lässt, ihn wie früher mit strenger Hand zu trainieren, und Paul in einem Rennen gegen den jungen Pfleger Tobias gewinnt, schlägt die Zurückhaltung der Bewohner jedoch in Begeisterung um. Die "trüben Tassen" werden wieder lebhaft, sie erinnern sich an ihren Helden aus vergangenen Tagen, feiern mit ihm und feuern ihn an. Und im Altersheim geraten die Abläufe durcheinander. Dann aber stirbt Margot, woraufhin Paul in tiefe Trauer verfällt. Kann er das Versprechen noch einlösen, das seine Frau ihm kurz vor ihrem Tod abgerungen hat? Dass er sein Rennen auch ohne sie zu Ende bringen wird, immer weiter läuft, unaufhaltsam, heraus aus den traurigen Gedanken, in Richtung Marathon. Für sich selbst, aber auch für all jene, denen er es beweisen möchte - seiner Tochter Birgit, seinen Mitbewohnern, einer ganzen Stadt...
Kritik
Was tun, wenn der Körper langsamer, hinderlicher, einfach älter wird? Laufen! So denkt es sich Paul Averhoff (Dieter Hallervorden), ehemaliger Olympiasieger. Leider denken die Menschen um ihn herum, er habe nicht mehr alle Medaillen im Schrank, als er sagt er will nicht nur am Berliner Marathon teilnehmen, sondern ihn selbstverständlich auch gewinnen. Nur seine Frau und ehemalige Trainerin Margot (Tatja Seibt) hält loyal zu ihm.„Sein letztes Rennen“ spricht vordergründig über einen Traum, den sich Paul ein letztes Mal erfüllen will. Wer sich allerdings auf einen stupiden und oberflächlichen Film freut, der ist hier im falschen Altersheim zuhause. Groß thematisiert werden auch die heutzutage immer problematischeren Situationen in deutschen Pflegeheimen und die schwierige Familiensituation der Averhoffs.
Gespickt mit bissigen Kommentaren zum Altwerden und Tod, zeigt „Sein letztes Rennen“ deutlich was mit Menschen passiert, die im Heim auf den Tod warten und auf dem Weg dorthin ihr Dasein als ausrangierte Mitglieder einer Gesellschaft fristen. Hervorragende schauspielerische Leistung an dieser Stelle zeigt Katharina Lorenz, die die heimeigene Therapeutin Frau Müller verkörpert. Alternativ stereotypisiert mimt sie eine Frau, die mit bester Motivation und noch schlechterer Herangehensweise Paul Averhoff nicht nur körperlich, sonder auch geistig mit Basteln und Singen klein hält. Ihre an sich gute Hilfsbereitschaft in einem frustrierenden und deprimierendem Umfeld lassen sie Tag für Tag an ihre Grenzen stoßen, was von ihrem Umfeld jedoch deutlich wahrgenommen wird. Dadurch entwickelt man als Zuschauer nicht nur Antipathie für sie, sondern gleich für ihren ganzen Berufsstand, was nur deutlich zeigt, wie hervorragend Lorenz ihre Rolle spielt. Auch die Heimpflegerin Rita (Katrin Saß), wie auch das restliche Pflegepersonal, ist alles andere als offen für die Wünsche ihrer Bewohner. Nur der junge, leicht chaotisch wirkende Pfleger Tobias (Frederick Lau) setzt sich hin und wieder für Paul ein und kassiert dafür Nachtschichten, wegen angeblicher Dienstverletzung. Da freut man sich doch aufs Altersheim.
Die Eltern-Tochter Situation ist von Beginn an angespannt. Birgit Averhoff (Heike Makatsch) schickt ihre Eltern nach einem Sturz ihrer Mutter in ein Pflegeheim, da sie die Hilflosigkeit des Ehepaars im Alltag nicht weiter mit ansehen kann. Auch die Schwierigkeiten, die ihr Vater mit dem Pflegepersonal hat, belasten sie. Heike Makatsch bringt dem Zuschauer die Belastung einer solchen Gegebenheit überraschend überzeugend nahe, besonders wenn ihre Mutter stirbt. Die zu Beginn des Films eher nebensächliche Beziehung der Eltern wird zur Mitte des Films stärker thematisiert. Margot, die früher einmal an Krebs erkrankt war, hat einen Rückfall und stirbt. Paul bricht damit völlig zusammen und legt seinen Traum vom Marathonlaufen erstmal auf Eis. Er halluziniert von Margot und reagiert auf die vernichtende Realität so schlimm, dass er im Heim fixiert werden muss. Diese Szene ist eine von vielen hochemotionalen Stellen des Films. Der Pfleger Tobias und der zunächst unfassbar unsympathische Heimbewohner Rudolf (Otto Mellies) zerren ihn verbotenerweise fast schon zum Marathon und Paul beginnt sein letztes Rennen. Seine Freunde aus dem Heim und sogar seine Tochter bejubeln ihn, als er schließlich durch das Ziel läuft. Doch damit ist der Film nicht vorbei, wie man erwarten würde.
Das Ende des Films wirkt im Gegensatz zum bisherigen Teil des Films utopisch und unrealistisch. Nachdem Paul das Rennen gewonnen hat, gibt es einen Zeitsprung und die Missstände im Pflegeheim haben sich deutlich gebessert. Paul besucht seine Tochter, die inzwischen ihre eigene Familie hat. Dieses Ende gibt dem Film wieder etwas eher unvollständiges und lässt den roten Hauptfaden außer Acht, nämlich, dass Paul sein Rennen gewinnt. Ein dramatisches Ende würde besser zum restlichen Film passen.
Fazit
Regisseur Kilian Riedhof (Gewinner des deutschen Fernsehkrimipreises 2009) beweist in seinem Film „Sein letztes Rennen“ nicht nur sensibles Gespür für das Bedürfnis älterer Menschen, immer noch Teil von etwas sein zu wollen, sondern lässt seine Figuren auch mit Sarkasmus aufleben. Ebenso zeigen Dieter Hallervorden und Tatja Seibt als Ehepaar Averhoff, dass „In guten, wie in schlechten Zeiten“ kein Relikt vergangener Zeiten sein muss und sich durchaus auch heutzutage findet. Hallervorden, den man entweder als politischen Kabarettisten in Berlin oder als nationalen Spaßvogel („Nonstop-Nonsens“, 1975-1980; „Die Comedy-Falle“, 2005-2010; „Zettl“, 2012) kennt, vereint wunderbar Kritik und Witz in diesem Film. Musikalisch ist der Film teilweise etwas zu stark betont, so dass ihn besonders emotionale Menschen mit Vorsicht genießen sollten. Jedoch bekommt jeder Zuschauer von Riedhof einen Denkzettel verpasst, indem der Regisseur ein Thema angespricht, das alte und junge Menschen betrifft. Riedhof kreiert Rentner, die zwar nicht im Alter den Bösewichten hinterherjagen, dafür aber ihren Träumen, immer mit einem frechen Spruch auf den Lippen. Seine Helden machen das Beste aus der Situation und zeigen so deutliche Kritik am bestehenden Sozialsystem. Wer gefühlvolle und gesellschaftskritische Filme in deutscher Produktion mag und mit den Charakteren mitfühlt und mit ihnen gemeinsam liebend gerne die Therapeutin verflucht, der wird von „Sein letztes Rennen“ begeistert sein. Nicht zuletzt, weil die flotten Rentner mit Sarkasmus immer noch glänzen, als wäre es erst gestern gewesen.
Autor: Saskia Höfer