Inhalt
Der Film erforscht die Geschichte von Isabelle Caro, die im Jahr 2007 als selbsternanntes "Vorzeigekind für Anorexie" für Aufsehen sorgte, als sie sich nackt mit nur 32 Kilo Körpergewicht für die "No-Anorexia"-Kampagne des italienischen Fotografen Oliviero Toscani abbilden lässt.Auf den Leinwänden der Stadt Mailand und medial weltweit erschrecken ihre ausgemergelten Konturen. Die Weltpresse ist fasziniert von diesem selbstzerstörerischen Exhibitionismus, die Bilder verbreiten sich in Windeseile auf diversen Plattformen und Medien. Gleichzeitig trifft die Kampagne auf harte Kritik, auch aus Angst, die Bilder könnten, anstatt abzuschrecken, jungen Frauen als Inspiration dienen. So werden die Poster nach wenigen Tagen wieder entfernt - jedenfalls von Mailands Leinwänden, nicht aber aus dem Netz oder aus den Köpfen.Was beibt, ist Isabelles Erkenntnis über die Macht ihrer Zerbrechlichkeit, die sie fortan nutzt, um die Medien für ihre Sache einzusetzen. Doch was genau war ihre Sache? Was war ihre Motivation? Was trieb diese Frau in ihrem Zustand an?
Kritik
„Seht mich verschwinden“ beginnt wenig aufwühlend. Die Bilder von Isabelle Caro sind hinreichend bekannt, nur wenig wird sich mit der Kampagne als solche auseinandergesetzt. Stattdessen führte Isabelle über Jahre hinweg Videotagebuch für Regisseurin Kiki Allgeier, welche sie auch oft privat begleitete, gibt Einblick in ihr Privatleben als Schauspielerin. Ihren wahren Schrecken, den wirklichen Schockwert, reicht dieser Dokumentarfilm nur langsam an den Zuschauer weiter, wenn realisiert wird, dass sich Isabelle und ihr Vater, Isabelle und die Medien, überhaupt Isabelle und das Umfeld komplett widersprechen. Wer dabei nun die Wahrheit sagt, dass erfährt der Zuschauer nicht. So erzählt Isabelle von ihrer Kindheit, die sie größtenteils eingesperrt zuhause verbrachte, mit einer schwer depressiven Mutter (die nicht befragt werden kann, da sie sich kurz nach Isabelles Tod das Leben nahm). Dem widerspricht der Vater, der betont wie harmonisch die Familie stets zusammenlebte. Es dauert eine Weile, doch dieses aufeinanderprallen der verschiedenen Ansichten, welches von der Regisseurin unkommentiert bleibt, wirkt zutiefst verstörend.
Ein Jahr nach Veröffentlichung der Fotos veröffentlich Isabelle ihre Autobiographie. Fortan wird sie weltweit durch die Medien gereicht, will junge Mädchen vor den Gefahren der Krankheit warnen. Allgeier ist stets direkt mit der Kamera dabei. Doch die wenigsten wollen zuhören. Als sie bei der französischen Version des „Next Top Model“ mitmacht, wird ihr über den Mund gefahren. Als RTL sie interviewen will legen sie einzig und allein Wert darauf dem Zuschauer zu zeigen, wie unnatürlich dünn Isabelle ist, wie abschreckend sie im Vergleich zu den schon sehr dünnen angehenden Models wirkt. Für das, was sie zu sagen hat, interessiert sich niemand. Allgeier kritisiert hier nicht mit Worten oder dem Holzhammer, sondern vertraut darauf, dass der Zuschauer von selbst merkt, was schiefläuft. Isabelle spielt ein Spiel mit den Medien, bei dem nie ganz klar wird ob sie das Geschehen unter Kontrolle hat oder nicht.
Zunächst wollte Allgeier nur einen Kurzfilm produzieren, doch es kam so viel Material zusammen dass nun eine lange Dokumentation daraus wurde. Dabei wechseln sich zahlreiche Inszenierungsarten ab. Mal führt Isabelle ein privates Videotagebuch, mal wird sie bei Auftritten gefilmt. Ab und an werden Fotos aus ihrer Kindheit gezeigt, manchmal gibt es schwarzweiß-Montagen, unterlegt mit klassischer Musik. So ergibt sich, zusammengesetzt aus vielen Einzelstücken, ein Bild von Isabelle Caro, das gleichzeitig unglaubliche Nähe zu ihr aufbaut und sie aus der Distanz beobachtet.
Fazit
Nicht nur ein ausdrucksstarkes Werk über die Folgen von Anorexie, sondern vor allem ein Plädoyer genauer hinzusehen wenn es um seelische Misshandlungen, auch in der Familie, geht. Isabelle Caro befand sich, als sie 2010 verstarb, auf dem Weg der Besserung. Das verschweigt der Film leider, und so verpufft ein großer Teil der Wirkung ihres Kampfeswillens beim Zuschauer ungesehen. Die größte Stärke von Kiki Allgeiers Film ist vermutlich die Tatsache, dass sie nicht kommentiert, nicht entscheiden will wer nun Recht hatte. Die multiperspektivische Herangehensweise überlässt es dem Zuschauer, zu urteilen und zu interpretieren. Was bleibt ist ein bewegendes Portrait einer jungen Frau, die ohne jeden Zweifel litt und ihre Erfahrungen weitergeben wollte, um anderen zu helfen. Gerne hätte sich mehr mit den Ursachen der Krankheit befasst werden können, doch der Fokus auf Isabelle und ihren Umgang mit den Medien spricht auch so stark genug für sich selbst. In erster Linie will dieser Film vermutlich Anteilnahme erwecken, und das gelingt zweifelsohne
Autor: Sandra Scholz