Inhalt
Das ist der Deal: Jugendliche aus unterschiedlichen Milieus werden am Pariser Lycée Turgot im Hip-Hop-Tanz ausgebildet, solange sie sich auch aufs Abitur vorbereiten.
Kritik
Über weite Strecken der mit knapp zwei Stunden deutlich überzogenen Laufzeit imitiert Thierry Demaizières und Alban Teurlais Dokumentarbeitrag zu Berlinale Generation die Optik eines Musikvideos. Junge Tänzerinnen in lässigen Outfits wirbeln vor wechselnden Kulissen herum, während die Kamera die Dynamik ihrer Bewegungen in wildem Auf und Ab einzufangen ersucht. Kein Zweifel, die vierte Doku des französischen Regie-Duos will so cool sein wie die Jugendlichen, deren Schritte auf der Bühne und im Leben sie verfolgen.
Die sich am Lauf eines Studienjahres orientierende Handlung beginnt mit der Begrüßung der neuen Student*innen an der renommierten Pariser Tanzakademie Turgot. Über den Hintergrund der Schule, Voraussetzungen für eine Aufnahme und die Struktur der Ausbildung erfährt man nichts. Nur, dass die soziale Trennung nicht ganz so rigide ist wie in den meisten Oberschulen üblich vermitteln die Berichte und diversen sozialen Hintergründe der Heranwachsenden. Von ihnen erzählt etwa ein halbes Dutzend seine alltäglichen Eindrücke.
Gewalt und traumatische Erfahrungen, die für Schüler*innen aus benachteiligten Bezirken die Norm scheinen, werden weder ergründet noch durch Berichte von privilegierten Kindern ergänzt. So wird indirekt das Vorurteil bestätigt, familiäre Probleme existierten nur in ärmeren Familien. Dergleichen Leerstellen sind symptomatisch für die Inszenierung, die scheinbar vor lauter Euphorie über tanzbegeisterte Heranwachsende alle gesellschaftliche und systempolitische Reflexion vergisst. Auch die Mädchen und Jungen, die zu Wort kommen, bleiben Background Dancer eines allzu selbstbegeisterten Uni-Werbeclips.
Fazit
Die Bedingung dafür, dass Thierry Demaizière und Alban Teurlai ihre Jugenddoku an der Pariser Tanzakademie Turgot drehen durften, war augenscheinlich das Ausblenden aller kontroversen Themen und herausfordernden Gemeinschaftsfaktoren. Rassismus in der Lehrerschaft, strukturelle Diskriminierung, materielle Benachteiligung werden negiert, sofern sie überhaupt angedeutet werden. Dafür beeindrucken bunt gekleidete junge Menschen mit instinktivem Rhythmusgefühl und fast akrobatischen Moves. Letzte stehen in krassem Kontrast zur inszenatorischen Schwerfälligkeit der Regisseure, deren jovialer Applaus vorrangig einem vorgeblich sanierten Bildungsapparat gilt.
Autor: Lida Bach