Den Filmen des Alfred Hitchcock („Psycho“) kann man aus heutiger Sicht durchaus hier und da etwas vorwerfen. Eines lässt sich jedoch nicht bezweifeln oder anprangern und das wäre sein inszenatorisches Können. Die Genauigkeit, mit der Hitch Einzelheiten einfängt, einen Schwenk inszeniert oder die Garderobe von Grace Kelly auswählt zeugt von Hingabe und einem tiefen Verständnis für das eigene Fach. Und vor allem ersteres mag einem nie so ganz deutlich werden in der Filmographie von Hitchcock. Wer die Lektüre „Wie haben Sie das gemacht, Mr. Hitchcock?“ von Francois Truffaut gelesen hat, der mag ebenso der Ansicht sein, dass der Master of Suspense hin und wieder über seine Filme redet, als wären sie nichts weiter als Produkte, die ihn nicht weiter interessieren. Und doch spürt man in „Das Fenster zum Hof“ die Liebe zum Detail und den Drang zur Richtigkeit so klar, wie selten zuvor.
Das wird vor allem in den ersten fünf bis zehn Minuten deutlich, wenn die Kamera in mehreren Schwenken eine der wohl besten und genauesten Expositionen einfängt, die je auf Film gebannt wurden. Man erfährt so ziemlich alles, was man über die Ausgangsposition, die Zeit, den Ort und die Figuren wissen muss. Allein dafür wäre Applaus angebracht. Aber dann setzt Hitch noch die Kirsche auf das Sahnehäubchen und bringt seinen verdeckten, britischen Humor mit ins Bild, wenn wir erst den Fotografen Jeff (James Stewart, „Vertigo“) mit Gipsbein sehen, dann eine zerstörte Fotokamera und schließlich ein großes Foto an der Wand - von einem Rennautounfall, mit Reifen, die auf den Zuschauer, respektive den Fotografen zufliegen. Es sind Momente wie diese, die „Rear Window“ (so der Originaltitel) zu einem Erlebnis machen und einen gelungenen Ausgleich zu der ansonsten so spannungsgetränkten Arbeit des Alfred Hitchcock schaffen.
Jeff ist seit einem ominösen Unfall (?) vor sechs Wochen also an einen Rollstuhl gefesselt, sein Gips kommt erst in einer Woche wieder ab. Aufgrund von Schlafproblemen und Langeweile beginnt er klammheimlich, durch sein Fenster und die Fenster der Nachbarn hindurch eben jene zu beobachten. Spionieren wäre ein Ausdruck, den er sich sofort verbitten würde. Er schaut ja nur. Natürlich wird er damit zum lustvollen Voyeur, am deutlichsten wird das wohl daran, dass die Kamera immer wieder über die Wohnung der leicht bekleideten Ballett-Tänzerin fährt, obwohl sie eine relativ geringe Bedeutung für den Ausgang der Geschichte besitzt. Mit den tadelnden Worten „Volk von Spannern“ wird Jeff dann auch alsbald von seiner Pflegerin Stella (Thelma Ritter, „Alles über Eva“) bedacht. Etwas, was in dem Moment schon nahezu weniger scheinbar wirkt, aber doch auf den unterschiedlichen Interpretationsebenen des Films wieder immens an Bedeutung zunimmt.
Die Fenster zum Hof, die der Nachbarn und Mitbewohner nämlich, gleichen in ihrer rechteckigen Form nämlich Bildschirmen. Die Figuren sind, so kitschig es auch klingen mag, die Hauptfiguren in ihrer Geschichte, die zudem allesamt unterschiedliche Genres abdecken. Der Spionage-Film, der Film Noir, das Charakterdrama, die Romanze und die Komödie. Sie alle finden ihren Platz in den unterschiedlichen Wohnungen und Jeff und seine Lebensgefährtin Lisa (Grace Kelly, „Über den Dächern von Nizza“) können nach belieben den „Sender“ wechseln. Und das tun sie und das ist wichtig, geben die Wohnungen doch stets solche Situationen wider, in denen sich Jeff wiederfindet. Das ist zwar keineswegs subtil, aber das war Hitchcocks Regie sowieso in den seltensten Fällen und damals auch schlicht und ergreifend nicht von Relevanz. Wichtiger als Subtilität ist das Erzählen des Plots und ebendies meistert Hitch hier mit Bravour. Man kann es nicht oft genug sagen.