Inhalt
Wiebke (45) lebt zusammen mit ihrer Adoptivtochter Nikolina (9) auf einem idyllischen Reiterhof. Nach vielen Jahren des Wartens, bekommt sie nun die Chance ein weiteres Mädchen, Raya (5), aus Bulgarien zu adoptieren. Nikolina freut sich sehr über das langersehnte Geschwisterchen. Die ersten gemeinsamen Wochen als Familie verlaufen harmonisch und die frischgebackenen Geschwister verstehen sich prächtig. Aber schon bald merkt Wiebke, dass die - anfänglich charmante Raya - etwas verbirgt. Sie wird immer aggressiver und stellt eine zunehmende Gefahr für sich und andere dar. Vor allem Nikolina leidet unter ihren Übergriffen, aber auch Wiebkes Beziehungen und Freundschaften werden auf die Probe gestellt. Um ihre Familie zu retten, muss Wiebke schließlich über Grenzen gehen und eine extreme Entscheidung treffen.
Kritik
Manche Filme spielen, was ihre kryptischen Titel angeht, mit offenen Karten. Pelikanblut ist eines dieser Beispiele: Bereits in den ersten Filmminuten klärt die Pferdetrainerin Wiebke (Nina Hoss, Phoenix) ihre Adoptivtochter Nicolina (Adelia-Constance Giovanni Ocleppo) über die Zeichnung eines sich selbst ausgeweideten Pelikans auf. Nach ihr handelt das Tier so, um ihre toten Jungen mit dem eigenen Blut wieder zum Leben zu erwecken. Das geneigte Publikum wird relativ schnell die Parallelen dieser Ikonographie zur nachfolgenden Handlung des Filmes erkennen. Regisseurin Katrin Gebbe (Tore tanzt) spricht damit die möglichen allegorischen Elemente ihres Eltern-Horrorfilmes direkt an und räumt sie dadurch auch aus dem Weg. Der weitere Verlauf ihres Filmes gestaltet sich wesentlich geerdeter und deswegen umso schmerzhafter. Nach Tore tanzt stellt Pelikanblut einen weiteren, unumgehbaren Leidensweg dar in dessen Zentrum eine faszinierende und in ihrer Haltung fast unerschütterliche Figur steht.
Als Wiebke Nicolina ihren Wunsch nach einer Schwester erfüllt wirkt das Familienidyll zunächst perfekt. Die 5-jährige Raya (Katerina Lipovska) zieht in das Landhaus von Wiebke ein und wird von dieser mit Zuneigung und Mütterlichkeit aufopfernd beschenkt. Doch bald machen sich brutale Risse in dieser Konstellation breit. Raya stellt sich als schwererziehbares Kind heraus, dessen Verhalten immer extremer und gefährlicher wird. Was mit Stänkereien am Essenstisch beginnt driftet irgendwann in exzessive Beleidigungen und Anfeindungen gegenüber ihrer Mutter und ihrer Schwester ab und gipfelt schließlich in Morddrohungen und Gewalt. Wiebke wird immer überforderter je mehr sich der Abgrund auftut, welcher in Raya schlummert. Dennoch aber will, oder besser, kann sie ihr Kind nicht aufgeben und ist irgendwann bereit, ein großes Opfer zu vollbringen.
Ihr erstes Opfer stellt zunächst ihre mütterliche Zuneigung zu Raya dar, an welcher sie grenzenlos festhält. Die Inhaltsangabe des Filmes kann hierbei in die Irre führen, denn das Zentrum des Filmes bildet widererwarten nicht Raya und der Horror, der von diesem entfesselten Kind ausgeht, sondern die Liebe von Wiebke. Jene ist es nämlich, die für Missverständnis bei ihren Nachbarn und Bekannten sorgt, allen voran dem Trainer Benedict (Murathan Muslu, 7500), welcher sich bemüht als der ungewollte Mann in Wiebkes Leben zu etablieren versucht. Selbst als Diagnosen von Verhaltenstherapeuten vorliegen und eine der Aufenthalt in einer geschlossenen Anstalt für Raya empfohlen wird kann Wiebke ihr Kind nicht loslassen. In dieser Hinsicht unterstreicht Pelikanblut den Leidensweg der Protagonistin doppelt und drückt oftmals etwas zu sehr auf. Dennoch aber gelingt es Gebbe dadurch, ihren Film von jeder Psychologisierung zu befreien und sich einfachen Lösungen zu verweigern.
Die Bürde einer Tochter kann Wiebke nur allein tragen. Gerahmt wird ihr Opferweg durch Bilder der Wildnis und der schnaufenden Pferdekörper, welche in ihrer Kraft das einzige zu sein scheinen, was der Entschlossenheit von Wiebke mithalten könnte. Was zunächst wie ein entschleunigter Post-Western anmutet gestaltet sich bald zum nervenaufreibenden Familiendrama, bis der Film in seinem Schlussakt in den Horrorfilm mündet. Gebbe schafft es all diese Elemente zu vereinen und weigert sich gleichzeitig, anders als beispielsweise Jennifer KentsDer Babadook, den Terror, der von einem Kind ausgehen kann, als allegorische Traumaufarbeitung zu inszenieren. Stattdessen ist Pelikanblut in seinem Kern eine anrührende Liebeserklärung an die Aufopferung einer Mutter, welche den Schmerz, den diese durchmachen muss, mit fulminanter Kraft verdeutlicht.
Fazit
„Pelikanblut“ (die erwähnte Eröffnung impliziert es bereits) ist nicht sehr subtil, aber dennoch gelingt Katrin Gebbe ein einzigartiger Leidensweg, bei dem die verstörende und unaufhaltsame Kraft eines Kindes auf das unüberwindbare Hindernis einer liebenden Mutter trifft. Das Ergebnis ist nachwirkend und sagt mehr über die menschliche Kondition aus als die meisten Problemfilme.
Autor: Jakob Jurisch