MB-Kritik

Exchange - Ein Leben für ein Leben 2022

War

Anna Adamovych
Vasyl Basha
Viacheslav Dovzhenko
Ostap Dziadek
Volodymyr Hurin
Yehor Kozlov
Nadiia Levchenko
Dmytro Linartovych
Vladyslav Mamchur
Iryna Verenych-Ostrovska
Dmytro Otsupok
Oleg Primogenov
Oleksandr Yefymenko

Inhalt

Mitten in der Nacht erfährt der Kiewer Chirurg Alexander, dass sein Sohn Kostja als Freiwilliger der Armee beigetreten ist und von Separatisten gefangen genommen wurde. Um ihn freizubekommen, muss Alexander an die vorderste Front reisen und ein Lösegeld zahlen. Als sich ein gewissenloser russischer Oberst einmischt, läuft jedoch nichts mehr wie geplant. Mit einem einzigen Anruf wird das Leben aller auf den Kopf gestellt ...

Kritik

In manchen Gebieten der Ukraine dauert der Krieg bereits seit dem Jahr 2014 an und es gibt genug Menschen, die sich nicht direkt an den Kriegshandlungen beteiligen, sondern, wie die Hauptfigur des Films, der Kiewer Chirurg Alexander (Vyacheslav Dovzhenko, Last Resistance) ihr Leben weiter leben, ohne ihr Vaterland zu verteidigen. Als Chirurg erweist Alexander der Allgemeinheit trotzdem einen wertvollen Dienst, weil er Menschenleben rettet. Er ist ein klassischer Held, der seine ehrenhaften Prinzipien hat und danach sein ganzes Leben ausrichtet. Sein Leben wird jedoch prompt auf den Kopf gestellt, als er erfährt, dass sein Sohn (Yehor Kozlov , Sniper. The White Raven) von den Separatisten gefangen genommen wurde. An dieser Stelle gibt es einen Wendepunkt, der sehr wichtig ist für diesen Film, weil er darauf aufmerksam macht, dass es auf einmal gar nicht mehr so einfach ist, sich aus dem Kriegsgeschehen rauszuhalten, wenn der Krieg plötzlich die eigene Familie betrifft. Bis zu diesem Zeitpunkt fiel es der Hauptfigur leicht, den Alltag zu meistern, ohne sein Leben vom Krieg überschatten zu lassen, doch in dem Moment, als er erfährt, dass sein Sohn in Gefahr ist, trifft er eine folgenschwere Entscheidung.

Alexander will seinen Sohn befreien und fährt deswegen in das Kriegsgebiet, um den Austausch zu vollziehen. Selbstverständlich läuft dabei einiges schief und er bekommt nicht nur die Gelegenheit, mit seinen überragenden Arzt-Kenntnissen zu glänzen, sondern auch noch in MacGyver-Manier aus Alltagsgegenständen richtiges Werkzeug für eine Operation zu basteln. Außerdem trifft er auf seinem Weg einen Freiwilligen, der sich für die ukrainische Armee gemeldet hatte, aber auch einen Separatisten (Vladyslav Mamchur, Foxter & Max) und er spricht mit jedem von ihnen über ihre Sichtweise auf den Krieg und die Ereignisse, die dazu geführt haben. Dabei verurteilt er niemanden, sondern wirkt, wie eine Figur, die stets ihre Neutralität bewahrt. Umso einfacher gelingt die Darstellung beider Seiten, ohne Vorwürfe und Schuldzuweisungen. Das macht einzelne Figuren menschlicher und zeigt, dass grundsätzlich auf beiden Seiten des Krieges Menschen stehen, die sich den Frieden wünschen und bereit für die Versöhnung sind und, die teilweise gar nicht begreifen können, wie es so weit kommen konnte. Sicherlich gibt es auch die typischen uneinsichtigen Figuren, die in ihrem schwarz-weiß-Denken verharren, doch genau das macht Exchange auch so authentisch. Wenn alle einsichtig wären, dann müsste man nicht seit 10 Jahren gegeneinander kämpfen.

Auch der sprachliche Konflikt, der schon bei Sniper. The White Raven und Operation: Donbass problematisiert wurde, kommt hier zum Vorschein. Die ukrainische Sprache wurde eher in den Dörfern gesprochen und die russische Sprache in den Städten und die Ukrainer, die in die große Stadt kamen, hatten eine Wahl: Entweder sie legen die ukrainische Sprache einfach ab, wie ein altes Kleidungsstück, das nicht mehr modern ist, oder sie sorgen dafür, dass ihre Muttersprache auch in den großen Städten wieder modern wird. Der Held des Films hat sich natürlich für die zweite Alternative entschieden. Insoweit verläuft Exchange schon typisch ukrainisch: Die Ukrainischsprachigen sind Helden, die Russischsprachigen haben eher eine Charakterschwäche. Doch kann man es den ukrainischen Filmemachern verdenken? Auf keinen Fall! Viele Menschen in der Ukraine werden mittlerweile allein durch die russische Sprache schon getriggert und es wäre einfach der falsche Zeitpunkt, die russischsprachigen Figuren zu Helden zu erheben.

Exchange setzt deshalb ganz klar auf einen ukrainischen Helden, der auf der einen Seite alles dafür tun würde, um seinen Sohn zu retten, doch auf der anderen Seite auch nach seinem Ehrenkodex als Arzt handelt. Er manövriert sich dabei in einige brenzlige Situationen, die dem Film definitiv Spannung verleihen. Allerdings auch nicht so viel Spannung, dass man es kaum aushalten könnte, weil Exchange auch typische Aha-Momente hat, in denen man genau weiß, was manchen Figuren blüht und das weiß man schon weit im Voraus, weil die verräterischen Anzeichen da sind. Wenn eine Figur zum Beispiel zu einer anderen Figur sagt: „Wenn mir was passiert, dann kümmere dich bitte, um XYZ!“ Dann weiß man sofort, dass diese Figur so gut, wie tot ist. Genauso wie die Cop-Figuren, die ihren letzten Tag vor der Rente haben. Da kann man sich eigentlich schon zu hundert Prozent sicher sein, dass sie bald erschossen werden. Genauso läuft es bei Exchange ab und diese Vorhersehbarkeit führt dazu, dass der Film nicht ganz so aufregend ist, wie er hätte sein können, wenn man ein paar überraschende Wendungen eingebaut hätte.

Trotzdem bleibt Exchange ein durchaus solider Film, der sein Herz am rechten Fleck hat, aber den Zuschauer mit den Kriegsereignissen auch nicht zu sehr überfordern will. Nach dem Motto: „Wenn es sein muss, kann man auch mal über seinen Schatten springen und an die Front gehen, doch, wenn es nicht unbedingt erforderlich ist, dann leben wir alle fröhlich weiter unser Leben und lassen die anderen für uns kämpfen, weil es einfacher ist.“ Doch auch diese Sichtweise ist authentisch und Exchange basiert lose auf einigen Gefangenenübergaben, die tatsächlich stattgefunden haben. Dieser Kriegsfilm konzentriert sich eher auf eine individuelle Geschichte und lässt das Große und Ganze bewusst aus dem Spiel. Hier wird eine schlichte Geschichte erzählt, die nicht die gleiche Sogwirkung hat, wie andere ukrainische Kriegsfilme wie Sniper. The White Raven und Operation: Donbass, die sich mehr trauen zum Kernproblem des Krieges vorzudringen. Aber man braucht auch solche Filme, um zu zeigen, dass eben nicht alle an der Front kämpfen und, dass es nichts Verwerfliches daran gibt. Auch außerhalb der Front kann man heldenhaft handeln.

Fazit

Ein durchaus spannender Kriegsfilm, der aufgrund seiner Vorhersehbarkeit leider weitaus weniger aufregend ist, als er hätte sein können. "Exchange" erzählt eher eine schlichte Story, über einen Vater, der zwar bereit ist, für seinen Sohn zu kämpfen, aber auch stets den moralischen Kompass im Blick behält. Er wird zu einem selbstlosen Helden aufgebaut, der aufgrund seiner Neutralität auch im Krieg niemanden vorverurteilt, völlig egal auf wessen Seite sein Gegenüber steht. Die Moral von der Geschichte stimmt schon mal, trotzdem traut sich "Exchange" nicht besonders viel und kann deswegen nicht ganz mit den anderen zeitgenössischen ukrainischen Kriegsfilmen mithalten.

Autor: Yuliya Mieland
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