Inhalt
Anne (Lotte Verbeek) bricht nur mit einem Rucksack und ein paar elementaren Gegenständen wie Zelt und Schlafsack bricht sie nach Irland auf und zieht in völliger Einsamkeit durch die Wildnis. Eines Morgens wird sie von dem gebildeten Eigenbrötler Martin (Stephen Rea) angesprochen, der ihr Essen anbietet, wenn sie ihm im Garten helfe. Anne stimmt zu, doch als es beim Abendessen zum Streit kommt, will sie verschwinden. Dennoch gehen beide einen Handel ein: Essen für Arbeit, kein persönlicher Kontakt, keine Fragen. Langsam entsteht so etwas wie Nähe zwischen den beiden Außenseitern.
Kritik
Die erste Einstellung zeigt Anne in einer leeren Wohnung. Nicht einmal durch die Art der Einrichtung erlaubt Regisseurin Urszula Antoniak auf die undurchsichtige Persönlichkeit zu schließen, die sie in ihrem sensiblen Debütfilm ergründet. Jede Bindung ist eine Fessel für Anne (Lotte Verbeek), sei es an einen Ort oder einen Menschen. Für sie gibt es nur die Straße, an der sie entlang zieht, die Natur, wo sie ihr Zelt aufschlägt. Sitzt sie am Meeresufer, hält sie sich immer wieder vor dem Wellenrauschen die Ohren zu, als seien selbst Geräusche Eindringlinge in der inneren Stille. Nichts weiß man über die junge Frau, die an die schroffe Protagonistin von Agnes Vardas Vogelfrei erinnert. Sie ist eine Vagabundin, eine Rastlose. Doch die Hauptfigur ist kein Opfer, das ins soziale Abseits gedriftet ist. Ihre Loslösung von der Gesellschaft ist bewusst gewählt. Durch rigorose Absonderung von der menschlichen Gemeinschaft bewahrt sie sich ihre Autarkie.
„Kann man Ihnen helfen?“, fragte eine Frau, welche mit ihrem Mann und den Kindern auf einem Rastplatz isst, dessen Mülltonnen Anne nach Speiseresten durchwühlt. Nein, entgegnet Anne und fragt zurück: „Kann man Ihnen helfen?“ Ihren Ehering streift sie vor ihrem Aufbruch vom Finger. Er symbolisiert die letzte Fessel, welche sie an ihr altes Leben bindet. Man lernt sie als die Frau kennen, die der Einsiedler Martin (Stephen Rea) eines Tages vor seinem Haus sitzen sieht. Beide gehen einen ungewöhnlichen Handel ein. Anne arbeitet für Verpflegung, ohne dass Martin persönliche Fragen stellt. Im stillen Beisammensein bekommt die innere Rüstung der Einzelgänger langsam Risse. Menschliche Nähe wirkt auf Anne erstickend. In der sozialen Gemeinschaft erkennt sie etwas, das ihr zutiefst zuwider ist. Ob diese Einstellung an ein bestimmtes Erlebnis gebunden ist, bleibt unklar. Vielleicht ist es dieses dunkle etwas, vor dem Anne flieht, vielleicht ist es sie selbst.
In der ungewöhnlichen Beziehung zu Martin lernt sie eine andere Art der emotionalen Hinwendung kennen. Wie sie lebt Martin bewusst in Abgeschiedenheit. Er schlägt das Geschäft von Arbeit gegen Essen vor, bei dem keiner Fragen stellen darf. Seine Zurückhaltung ermöglicht es Anne, selbst den Grad ihrer Bekanntschaft zu bestimmen. Beiden dient Musik als Kommunikationsmittel. „I´m crazy for feeling so lonley“, heißt es in einem Song, den Anne hört, als sie sich zum ersten Mal in Martins Haus geschlichen hat. Die Sehnsucht nach Einsamkeit verbindet die Charaktere, noch bevor sie einander begegnen. „Any building tall with four walls around is a rubber room“, singt Martin einmal. Dennoch lebt er an Besitz gebunden und überträgt diese Abhängigkeit schließlich indirekt auf Anne. Für Sie, die sich hartnäckig gegen Fesseln sträubt, wird die Lösung zur schmerzlichen Erfahrung. Am Ende scheint es das Wissen um den Schmerz, das sie das Alleinsein vorziehen lässt.
Fazit
In ihrem bestechenden Charakterporträt zeigt Antoniak frei von Sentimentalität und Aburteilung den Konflikt zwischen kompromissloser Unabhängigkeit und dem grundlegenden menschlichen Bedürfnis nach Gemeinschaft. Man muss sich erst herantasten an die scheue Protagonistin, deren spröder Charme die zartbittere Episode trägt. Der schauspielerische Balanceakt der exzellenten Hauptdarsteller verleiht dem harschen Drama zusätzliche Ausdruckskraft.
Autor: Lida Bach