Der Moviebreak Horroctober: 15.10.2015 (Klassiker)
Und schon sind wir bei unserer dritten Kategorie, dem Klassiker, in unserem Horroctober angelangt. Um richtig in Stimmung zu kommen, beginnen wir auch gleich mal mit einem wahren Meilenstein des politisierten Horrorfilms.
Eine Landstraße schlängelt sich am Rand einer bescheidenen Kleinstadt entlang, die beiden Geschwister Barbara (Judith O'Dea) und Johnny (Russell Streiner), über 6 Autostunden von Zuhause entfernt, passieren diese, um auf dem hiesigen Friedhof das Grab ihres Vaters zu besuchen. Aus einem unbekümmerten Spaß, mit dem Johnny seiner Schwester bereits in der Kindheit einen Schauer über den Rücken zu jagen vermochte, wird schlagartig bittere Realität: Die Toten sind offenkundig aus ihren Gräbern gestiegen, es giert sie unentwegt nach Menschenfleisch. Was folgen wird, hat Filmgeschichte geschrieben, jeder Geek kann etwas mit dem Zitat „They're coming to get you, Barbara!“ anfangen, und ohnehin ist „Die Nacht der lebenden Toten“ von George A. Romero wohl ein unumstößliches Paradebeispiel dafür, was man heutzutage als echtes popkulturelles Monument verbuchen darf. Dabei beweisen vor allem die ökonomischen Produktionsbedingungen, dass es nicht das größtmögliche Budget ist, welches als Indikator für das Gelingen eines Filmes herangezogen werden sollte.
Mit einem Kostenpunkt von 114.000 US-Dollar, die „Die Nacht der lebenden Toten“ ausschließlich von privaten Investoren zur Verfügung gestellt bekommen hat, leuchtet einem dann doch ziemlich deutlich ein, was man benötigt, um einen wirklich guten Film umzusetzen: Eine Vision und die Passion, diese auf Zelluloid zu bannen.George A. Romero jedenfalls hatte beides und bekleidete nicht nur den Posten des Regisseurs, sondern schrieb das Drehbuch, führte die Kamera und arbeitete außerdem noch am Schnitt mit. Eine echte Herzensangelegenheit eben, die sich heute zwar nicht als Mutter des Zombiefilms beschreiben lassen darf (da war ein gewisser Victor Halperin mit seinem „White Zombie“ über 30 Jahre schneller), allerdings war es Romero, der den Zombiefilm selbst so maßgeblich prägte, wie es kein Künstler vor und nach ihm vollbrachte. Waren die triebgesteuerten Untoten zuvor noch Opfer von Voodoo-Mythen oder fremdbestimmte Somnambule, die von einem anderen Menschen zum eigenen Vorteil instrumentalisiert wurden, etablierte Romero nicht nur die torkelnde Motorik der Wiedergänger, sondern legte den Grundstein für die Gewaltästhetik des Genres.
Wenn man sich die heutigen Zombiefilme ansieht, beschleicht einen oftmals das Gefühl, dass es den Verantwortlichen im Hintergrund einzig und allein darum geht, die Wände mit Blut zu überstreichen: Hauptsache Gliedmaße werden abgetrennt, Gedärme in die Kamera gehalten und der rote Lebenssaft bis auf Knöchelhöhe gestaut. „Die Nacht der lebenden Toten“ war es indes, der die Zombies als Menschenfresser initiierte, wenngleich er in seiner Gewaltdarstellung heute nicht mehr vor dem Ofen herlocken wird, muss man sich doch immer wieder ins Gedächtnis rufen, den Film in seinem zeitgeschichtlichen Kontext zu rezipieren: Und für die späten 1960er Jahre war es mit Sicherheit ein nicht gerade zu unterschätzender Schock, wenn sich die Ungeheuer, die äußerlich schließlich immer noch aussahen wie Menschen, über die Leiber ihre ehemaligen Mitbürger hermachen, die Extremitäten vom Torso entfernen, die Knochen wie im Fressrausch abnagen.
George A. Romero aber spekuliert nicht auf den Ekel des Publikums; ihm liegt es an mehr, sein Horror-Kino möchte Tieferliegendes vermitteln.„Die Nacht der lebenden Toten“ ist, sieht man von seiner fiebrigen Zeitgeistreflexion ab, in der sich, zum Beispiel, auch viel Anklage an den Vietnamkrieg widerspiegelt, auch heute noch eine äußerst treffliche Gesellschafts- respektive Sozialkritik: Die Zombies, als Symbole und Allegorien zu verstehen, verdeutlichen, inwiefern sich unser gesellschaftliches Miteinander von jeder gesunden Form von Sozialität distanziert hat. Wenn man möchte, könnte man die Wiedergänger als die Manifestation all des Verdrängten werten, welches sich mit der Zeit wieder in unsere Mitte vorgekämpft hat. Da nimmt „Die Nacht der lebenden Toten“ nicht umsonst ungemein apokalyptische Züge an, wenn er den Untergang der Gesellschaft als bestialischen Akt der Selbstzerfleischung interpretiert. Das abgelegene Haus, in dem sich die Hauptakteure von „Die Nacht der lebenden Toten“ verbarrikadieren, versorgt die Inszenierung zudem nicht nur mit einer gar klaustrophobisch-bedrückenden Stimmung. Auf dem komprimierten Raum der Behausung sieht Romero auch die Chance, gruppendynamische Prozesse in Extremsituationen zu analysieren.
Hierarchische Machtstrukturen grundieren sich zunehmend, der afroamerikanische Ben (Duane Jones) behält die Ruhe, hat bereits zu Anfang begriffen, dass dies nicht die Zeit ist, um nach Erklärungen zu suchen, während sich Harry Cooper (Karl Hardman), der zusammen mit seiner Frau und Tochter und den beiden Jugendlichen Tom (Keith Wayne) und Judy (Judith Ridley) Zuflucht in dem Haus gesucht hat, Konkurrenzkämpfe anstiftet, die er als feiger Egoist zwangsläufig verlieren muss. Und da dekonstruiert „Die Nacht der lebenden Toten“ nicht nur zeitgenössische Rollenmodelle, er geht einen ganzen Schritt weiter und zerlegt die letzte Bastion des amerikanischen Werteempfindens in seine Einzelteile: Die Familie. „Die Nacht der lebenden Toten“ erscheint da wie eine bittere Abrechnung mit der amerikanischen Gesellschaft (und Regierung), ist über sein kritisches Gedankengut und Politisierung aber eben auch ein hervorragender, originärer Genre-Film, der sich in so beklemmender Fasson von einer ikonischen Szene zu nächsten bewegt, dass einem bei all der stilprägenden Qualität schon mal die Bettdecke über die Nasenspitze huschen kann.