Inhalt
Als ihr junger Sohn Minato sich immer auffälliger zu verhalten beginnt, findet seine Mutter Saori in einem gewalttätigen Schullehrer den Schuldigen. Doch aus der Sicht des Lehrers ist die Situation so verschieden wie aus der Minatos. Stück für Stück kommt die Wahrheit ans Licht.
Kritik
Mit nunmehr neun Besuchen in Cannes, davon sieben mit Filmen im Wettbewerb, ist Hirokazu Kore-eda (Broker) einer jener mit hingebungsvoll hofierten alten Männer, deren Werke weniger nach filmischen Maßstäben betrachtet werden als dass sie als Maßstab dafür gelten, wie ein Film - insbesondere ein preiswürdiger, publikumswirksamer Film - zu sein habe. Nicht nur diese Verschiebung bringt einen bitteren Beigeschmack in das jüngste Drama des japanischen Regisseurs, der erneut Sentimentalität, Sozialthemen und sanften Symbolismus zu meinem melancholisch-märchenhaften Moralstück verwebt.
Die Motive sind die altbekannten, nahezu austauschbaren, obwohl diesmal nicht der Regisseur selbst, sondern Sakamoto Yuji (The Adventures of Super Monkey) das Drehbuch: die sensible Beziehung zwischen Kindern und Eltern- oder Erzieherfiguren, unausgesprochene Konflikte, die sich durch Andeutungen statt Enthüllungen erschließen sowie die Korrektur vorschneller Annahmen über Charaktere. Dass mehrere der Figuren, deren individuelle Perspektiven episodisch aneinandergereiht bruchstückhaft Licht auf eine sich nie völlig offenbarende Wahrheit werfen, als Monster bezeichnet werden, definiert den Titel als metaphorische Mahnung vor öffentlicher Verurteilung.
Grundschullehrer Hori (Nagayama Eita, Wild Seven) wird von der alleinerziehenden Saori (Sakura Ando, Shoplifters) bezichtigt, ihren verletzten und sichtlich verstörten Sohn Minato (Soya Kurokawa) misshandelt zu haben. Schuldirektorin Fushimi (Tanaka Yuko, One Night) verweigert eine Erklärung und effektive Konsequenzen, während Hori Minato bezichtigt, den jüngeren Mitschüler Eri (Hinata Hiiragi) zu mobben. Ebi verneint den Vorwurf, aber hütet offenbar ein Geheimnis. Familiäre und freundschaftliche Tabus, das Gespenst psychopathischer Perversion und exzessive Elementar-Symbolik (Feuer, Sturm, Regen) weisen in eine unerwartet düstere Richtung.
Dieser spannende dramaturgische Pfad entpuppt sich jedoch als falsche Fährte des geschickt arrangierten Handlungsprismas. Darin spiegelt sich in verschiedenen Facetten dieselbe Botschaft, deren vorgeblicher Humanismus und ideeller Optimismus auch dank der hervorragenden Darstellungen bemerkenswert überzeugend wirken. Tatsächlich ist die von atmosphärischem Soundtrack untermalte Geschichte von Lüge und Wahrheit ein Meisterstück - vor allem in moralischer Manipulation. Der zeitgeschichtliche Kontext und Cannes als Bühne sind zu spezifisch, um den Appell für allseitigen Unschuldsglauben zufällig zu machen.
Fazit
Bei all seinen handwerklichen und kreativen Qualitäten ist Hirokazu Kore-edas Drama um wandelbare Wahrheiten und soziale Schikanen letztlich die Geschichte falscher Anschuldigungen der Misshandlung seitens einer Frau gegen einen Mann in Autoritätsposition und die Institution, die ihn schützt. Die unterliegende Botschaft von einer Unschuld bezichtigter Täter, Unabsichtlichkeit scheinbar eindeutiger Vorfälle und klarsichtigen Objektivität solidarischer Institutionen wirkt im Rahmen von Cannes, einer Bastion der Beschuldigten und ihrer Allies, sicher der maßgeblichste Grund für den begeisterten Applaus.
Autor: Lida Bach