6.8

MB-Kritik

Minamata 2020

Drama

6.8

Akiko Iwase
Mimori Wakasugi
Johnny Depp
Katherine Jenkins
Bill Nighy
Minami
Hikaru Inagawa
Sonata Molocajeviene
Muneaki Kitsukawa
Tadanobu Asano
Ryo Kase
Hiroyuki Sanada
Jun Kunimura
Yosuke Hosoi
Yuzu Aoki
Lily Robinson

Inhalt

Seine glorreichen Tage als Fotoreporter im Zweiten Weltkrieg liegen weit zurück; mittlerweile führt W. Eugene Smith ein zurückgezogenes Leben. Als er vom Herausgeber des Magazins „Life“ angefragt wird, um nach Japan zu reisen, wo er den Ursachen einer Quecksilbervergiftung nachgehen soll, unter der die Bewohner des Fischerdorfs Minamata leiden, lehnt er zunächst ab. Doch eine leidenschaftliche Japanisch-Übersetzerin namens Aileen drängt ihn, den Auftrag anzunehmen. Smith lässt sich schließlich überzeugen.

Kritik

Die Anfangseinstellung, die den intimen Moment mütterlicher Fürsorge auf W. Eugene Smiths wohl berühmtestes Foto Tomoko in ihrem Bad als schwarz-weißes Tableau nachstellt, verspricht noch vage eine nuanciertere Aufarbeitung des systematisch vertuschten Vergiftungsskandals des Titels. Doch wenn wenige Filmminuten später Johnny Depp (City of Lies) in der mit Abstand miesesten einer Maske dieses Festivals in das Büro von Life-Redakteur Bob Hayes (Bill Nighy, Emma) platzt und ihm einen Scheck abtrotzt, ist klar, dass Nuancen hier unerwünscht sind.

Andrew Levitas (Arbitrage) plakativer Recherche-Thriller ist die für Berlinale Special typische Mischung aus Starshow, Mainstream-Unterhaltung und prestigeheischender Publikumserziehung. In der ersten halben Stunde werden Smiths ikonischer Status, seine Sucht, Egozentrik und die daraus resultierende Unzuverlässigkeit sowie Life’s prekäre Finanzlage in profanster Klischeemanier breitgetreten, bevor der physisch und emotional angeschlagene Fotoheld sich von Aktivistin Aileen (Minami, Afuro Tanaka) zu einem letzten Einsatz überreden lässt. Die reale Story bietet alles, was sich Produzenten wünschen könnten und noch mehr.

Doch das kümmert weder den Regisseur noch Depp, dessen Repertoirenummer das schauspielerische Pendant zu Smiths rüpeligem Selbstmitleid. Wie der Einschüchterung, Bestechung und Angriffen ausgesetzte Protagonist zwingt er sich zur Mitarbeit, weil mehr Ruhm und Geld nie schaden. Das durch menschenverachtende Gier verursachte Unglück delegiert Levitas zur Randerscheinung von Smiths Selbstkämpfen. Krankheit und Tod Tausender Japaner zählen einzig in Relation zum Schaffen eines weißen US-Amerikaners. Das bigotte Denkschema passt zur schematischen Inszenierung des Standard-Thrillers.

Fazit

Gravierende Thematik, überzeugende Nebendarsteller_innen und aufklärerischer Ansatz sind das solide Fundament, auf dem Johnny Depp im Karnevalskostüm herumtrampelt. Weil die Berlinale-Presse auf Fastnacht fällt? Weit entfernt von Ausdruckskraft und intuitiver Sensibilität des zugrundeliegenden Fotoberichts, distanziert die narrative und stilistische Konformität von den realen Leiden. Gehandicapte Charaktere werden verniedlicht oder zensiert. Während sein Protagonist von Wahrhaftigkeit schwadroniert, retuschiert Andrew Levitas dezente, nicht-sexualisierte Nacktheit. Über künstlerische Ambition und biografischen Realismus triumphiert Popcorn-Kino-Prüderie.

Autor: Lida Bach
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