Inhalt
Von allen furios nach New York verabschiedet – und dann doch in Wellington geblieben! Mit Fantasie, Charme und typisch neuseeländischem Humor produziert Millie in ihrer Not gefakte Bilder ihres vermeintlich wilden Lebens in Übersee und postet sie für ihre Freund*innen im World Wide Web. Dabei erfährt sie als heimlicher Schatten ihres eigenen Lebens so einiges, das sie lieber nicht erfahren hätte.
Kritik
Auf den ersten Blick wirkt Michelle Savills schroffes Spielfilmdebüt wie eine oberflächliche Komödie über Statusverlust und Social Media. Doch schon nach der Eingangsszene ist klar, dass die Route der neurotischen Protagonistin (Ana Scotney, Wellington Paranormal) in doppelter Hinsicht in eine andere Richtung geht als geplant. Entgegen der Synopsis verpasst Millie den Flug nach New York, wo ein Praktikum bei einer renommierten Architekturfirma auf sie wartet, nicht, nein, sie stürmt aus dem Flieger in einem Anfall irrationaler Panik.
Letzte ist mehr als simple Flugangst. Die selbstbewusst auftretende Glanzstudentin hat tiefgreifende Probleme, psychisch, privat und materiell. Wenn sie am Flughafen ihr Ausflippen auf eine Lebensmittelvergiftung schiebt, zeigt sich, dass ihr Versteckspiel nicht erst mit dem verpatzten USA-Trip beginnt. Weil sie inzwischen selbst an ihr tägliches Schauspiel von Perfektion glaubt, kann sie sich der vermeintlichen Blamage nicht stellen. Also auf zu Instagram, der digitalen Quintessenz des schönen Scheins, den Millie mit Fake-Fotos aufrechterhält.
Wenn die eigensinnige Semi-Heldin mit Kapuze durch das verregnete Wellington schleicht und durchnässt im Wald campt, wartet hinter der sarkastischen Situationskomik leise Tragik. Der von einem realen Erlebnis der Regisseurin und Co-Drehbuchautorin angeregte Beitrag zum Berlinale Generation Programm ist weniger Comedy als Drama mit ein paar überraschenden gesellschaftlichen Einsichten. Die Relevanteren davon existieren abseits kalkulierter medialer Megalomanie in einer voyeuristischen Leistungsgesellschaft, die Erfolg nicht nur beruflich, sondern beziehungstechnisch, finanziell, medizinisch und psychologisch bemisst.
Fazit
„Fake it till you make it“ wird in Michelle Savills vielversprechendem Debüt zur letzten Ausflucht vor dem allgegenwärtigen Erwartungsdruck eines sozialen Umfelds, dessen Zuspruch und Verbundenheit ähnlich fadenscheinig sind wie das tadellose Image der von Ana Scotney lebensnah verkörperten Titelfigur. Ihr eröffnet die Undercover-Inspektion des Lebens, das sie angeblich für eine Karrieresteilvorlage zurückgelassen hat, eine irritierend echte Perspektive. Authentizität, herber Humor und überraschend konventionskritische Seitenhiebe halten die holprige Handlung trotz ihrer seriellen Struktur zusammen.
Autor: Lida Bach