7.7

MB-Kritik

Marie-Octobre 1959

Mystery, Drama

7.7

Danielle Darrieux
Bernard Blier
Robert Dalban
Paul Frankeur
Jeanne Fusier-Gir
Paul Guers
Daniel Ivernel
Paul Meurisse
Serge Reggiani
Noël Roquevert
Lino Ventura
René Brejot
Roger Delaporte
Iska Khan
King Kong Taverne
Paul Villard

Inhalt

Nach Jahren treffen sich die Mitglieder einer Widerstandsgruppierung während des Zweiten Weltkrieges wieder. Doch ihre Zusammenkunft hat einen ernsten Hintergrund: Einer von ihnen hat sie damals an die Gestapo verraten. Und heute Abend soll dies gesühnt werden.

Kritik

Fünfzehn Jahre sind seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges vergangen. Die Franzosen haben oberflächlich das Trauma der jahrelangen Besatzung abgeschüttelt und auch die ehemaligen Partisanen der Résistance führen unlängst wieder ein ganz normales Leben. Marie-Octobre (Danielle Darrieux, 8 Frauen), inzwischen Betreiberin eines großen Modehauses, ist eine von ihnen. Damals kämpfte sich mit den zehn Mitstreitern ihrer geheimen Gruppierung von innen gegen den übermächtigen Feind, bis sie wenige Tage vor Kriegsende doch noch von der Gestapo in ihrem Versteck aufgespürt wurden. Bei der Razzia kam ihr Anführer Castille ums Leben, allen anderen gelang die Flucht. Heute versammeln sich die verbliebenen Mitglieder auf ihre Einladung hin erneut in der prunkvollen Villa. Es scheint ein zwangloses Wiedersehen alter Kameraden zu werden, von denen sich einige schon lange aus den Augen verloren haben. Die Stimmung ist gelöst, es wird über die alten Zeiten und die aktuellen Lebensumstände gesprochen, bis die Gastgeberin die Bombe platzen lässt: Sie hat herausgefunden, das einer von ihnen sie damals an die Deutschen verriet. Nur wer es war, das weiß sie noch nicht. Aber das soll sich innerhalb der nächsten Stunden ändern. Und Konsequenzen nach sich ziehen.

Zehn Personen versuchen auf engsten Raum einer Wahrheit auf den Grund zu gehen, die (mindestens) einer von ihnen den Kopf kosten wird. Eine hochspannende Prämisse, die Regisseur Julien Duvivier (Der Teufel und die zehn Gebote) nach allen Regeln der Kammerspiel-Kunst geschickt zu nutzen versteht. Der schier ungeheuerliche Vorwurf schwebt wie ein Damoklesschwert über allen Beteiligten, die damit ganz unterschiedlich umgehen. Anfänglich ist von ins Lächerliche ziehen, über empörtes Abstreiten bis hin zu paranoiden Abwehrhaltung alles dabei, doch schnell bewegt sich das Ganze in eine gegenseitige Anklage im Kreuzverhör. Jeder sieht sich im Wechsel mit irgendeinem rationalen Vorwurf konfrontiert, warum er der Verräter gewesen sein könnte. Rechtfertigungen und Anschuldigungen geben sich die Klinke in die Hand, Wiedersprüche werden aufgedeckt und offensichtliche haben einige ganz unterschiedliche Versionen an jenen Abend in Erinnerung, von der wenigstens eine ein mit heißer Nadel gestricktes Alibi sein muss.

Das Szenario lebt von seiner unmittelbaren Unausweichlichkeit, mit der sich jeder der zahlreichen Protagonisten konfrontiert sieht. Als Zuschauer ist man in bester Who-Dunnit-Manier zum Miträtseln und Mutmaßen eingeladen, was der Plot im Minutentakt neu befeuert. Zwar erscheint nicht alles in der Abfolge der Aussagen und daraus resultierenden Reaktionen absolut plausibel, diesen minimalen Makel kann der Film durch seine eindringlich-beengende Stimmung, seine raffinierten Dialoge und das exzellente Ensemble aber mühelos kaschieren. Das erinnert schon stark an Sidney Lumet’s kurz zuvor erschienenes Meisterwerk Die zwölf Geschworenen, in vielerlei Hinsicht sogar qualitativ. Dessen aufgeheizte, emotionale Involvierung und den unfassbar intensiven Niederschlagsmoment erreicht man zwar nicht, wobei das kaum die Messlatte für irgendeinen Film darstellen sollte. Als funktionelles Spannungs-Kino auf hohem Niveau, ohne jedwede Effekthascherei und mit der notwendigen Portion zwischenmenschlicher wie moralischer Diskussionsfläche allerdings von zeitloser Klasse.

Fazit

Ein hochwertiges, intensives Kammerspiel. Hervorragend inszeniert, grandios besetzt, spannend und bis zum Schluss nur auf maximal spekulative Weise durchschaubar. Zum Meisterwerk fehlt es sicherlich noch am Feinschliff in Detailfragen, was den Sehgenuss aber keinesfalls trübt.

Autor: Jacko Kunze
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