Inhalt
Lucky ist ein 90-jähriger Eigenbrötler, Atheist und Freigeist. Er lebt in einem verschlafenen Wüstenstädtchen im amerikanischen Nirgendwo und verbringt seine Tage mit bewährten Ritualen - Yoga und Eiskaffee am Morgen, philosophische Gespräche bei Bloody Mary am Abend. Bis er sich nach einem kleinen Unfall seiner Vergänglichkeit bewusst wird. Zeit dem Leben noch einmal auf den Zahn zu fühlen.
Kritik
Wie begegnet man dem Ende, wenn es schon so nahe rückt und es längst an der Zeit ist, sich von dem zu verabschieden, was wir Menschen das Leben nennen? Der 90 Jahre alte Lucky, der irgendwo in einem kleinen Wüstenörtchen Amerikas lebt, kann dieser Frage mittlerweile nicht mehr so leicht ausweichen. Wie ein Gewohnheitstier geht er Tag für Tag seiner unaufgeregten Routine nach. Noch bevor er überhaupt den ersten Fuß aus dem Bett in seine Hausschuhe bewegt, zündet sich Lucky schon die erste Zigarette an und dreht das Radio auf, um der spanischen Musik zu lauschen, die er offensichtlich so sehr liebt. Ansonsten besteht seine morgendliche Routine aus Yoga-Übungen und einem Eiskaffee, bevor Lucky in ein gemütliches Diner schlurft, wo bereits die nächste Tasse Kaffee auf ihn wartet, die er zu seiner Tätigkeit des Kreuzworträtsellösens trinkt.
Von sichtlicher Aufregung kann auch weiterhin kaum die Rede sein, wenn der alte Mann im nahegelegenen Kiosk frische Milch für seinen Kühlschrank kauft, der außer diesem Nahrungsmittel nichts weiter beinhaltet, und danach seine gewohnten Quizshows im Fernsehen schaut, um den Tag schließlich mit einer Bloody Mary in der Bar seines Vertrauens ausklingen zu lassen. Die Atmosphäre der spröden, geradezu banalen Elegie des Alltags, die das Regiedebüt von Schauspieler John Carroll Lynch (The Invitation) durchweht, erinnert an Jim Jarmuschs bislang letztes Werk Paterson. Der bedeutenden Ikone des Independent-Films ging es vor allem darum, pure Schönheit in den gewöhnlichsten Situationen des Lebens zum Vorschein zu bringen und eine Ode an die Einfachheit zu entfachen. Lynch nutzt seinen Film dagegen für eine Meditation über die Vergänglichkeit des Lebens sowie den Versuch, sich der eigenen Sterblichkeit im Angesicht der konkret werden Endlichkeit bewusst zu werden.
Auch Lucky wird eines Tages aus seiner alltäglichen Routine gerissen, nachdem er eines Morgens in seinem Haus zusammenbricht und auf den Boden stürzt. Ein Besuch beim Arzt bringt ihm lediglich die Gewissheit, dass seine körperlichen Werte nach einem Test einwandfrei seien und seine Organe noch so funktionieren, wie sie es sollen. Es ist schlicht und einfach das hohe Alter, das Luckys Körper vermehrt belastet und dafür sorgt, dass dieser allmählich zerfällt. Eine schlichte Erkenntnis, die dem eigenwilligen, mürrischen Atheisten mehr zusetzt als er sich zunächst selbst eingestehen will. Mit kargen, minimalistisch komponierten Einstellungen, in denen die Gesichter einzelner Figuren ganz eigene Landschaften bilden, lenkt der Regisseur den Fokus seines unscheinbaren, zurückhaltenden Films zunehmend auf die Begegnungen zwischen Lucky und den Menschen in seinem Umfeld.
Bei Gesprächen, die dezent philosophisch-existenzielle Denkanstöße streifen, skurrile Eigenarten zutage befördern oder ganz und gar unspektakuläre Themen anschneiden, öffnet Lynch für den Betrachter die Schwelle zwischen scheinbar unbedeutenden Nebensächlichkeiten und wertvollen Offenbarungen, die Lucky in ein Gemälde der aneinandergereihten Momentaufnahmen und repetitiven Beiläufigkeiten verwandelt, in denen die Melancholie und zugleich Schönheit des Lebens noch schimmern darf. Ruhen lässt der Regisseur seinen Film hierfür auf den Schultern von Hauptdarsteller Harry Dean Stanton (Pretty in Pink), dem ewigen Nebendarsteller und treuen Begleiter jener Sorte Kino, die sich zumeist in ruhigeren, abseitigeren Gefilden fernab des massentauglichen Bewusstseins einen Weg zum Zuschauer bahnt. Auch Stanton war über Jahrzehnte hinweg irgendwie da, doch das große Rampenlicht hat ihn abseits von Rollen wie in Wim Wenders‘ Paris, Texas nie sonderlich oft für sich beansprucht. Wie auch in diesem Film scheint Stanton im wahren Leben stattdessen eher der unaufhörliche Wanderer und Suchende gewesen zu sein, der regelmäßig am Rand aufgetaucht ist, um anschließend wieder zu verschwinden, als sei er nie wirklich dagewesen.
Bevor der Schauspieler im September 2017 im Alter von 91 Jahren starb, ist er für Lynch also noch einmal in die Rolle seines Lebens geschlüpft, um durch die letzten verbleibenden Überreste seines eigenen Daseins zu wandern, die sich hier Lucky nennen. Auch Begegnungen mit Nebendarstellern wie beispielsweise Regisseur David Lynch (Eraserhead), dessen Figur eine über 100 Jahre alte Schildkröte namens President Roosevelt entlaufen ist und somit selbst eine Randnotiz aus den Filmen des großen Surrealisten darstellen könnte, oder Tom Skerritt (Harold and Maude), neben dem Stanton schon in Alien - Das unheimliche Wesen aus einer fremden Welt spielte und dessen Figur eine besonders bewegende Anekdote über seine Vergangenheit im Krieg erzählen darf, wirken somit eher wie ein letztes Wiedersehen mit alten Bekannten und Weggefährten. Ein wehmütiges und doch optimistisches Wiedersehen, das den Hauptdarsteller mit einem ungewohnten Lächeln auf dem Gesicht in die unendlichen Weiten der Prärie entlässt, wo er sich auf ewig auf die Suche begeben darf. Die Antworten auf seine Fragen liegen vielleicht schon längst in seiner eigenen Kinogeschichte verborgen, die gleichzeitig seiner Lebensgeschichte entspricht.
Fazit
John Carroll Lynchs Regiedebüt „Lucky“ ist eine elegische, entschleunigte, unaufgeregte Meditation über die Vergänglichkeit des Lebens sowie Akzeptanz der eigenen Sterblichkeit. In minimalistisch komponierten Bildern von karger Eleganz findet der Regisseur in schlichten Momentaufnahmen pure Schönheit zwischen banaler Alltäglichkeit. Dabei stellt der Film selbst eine gebührende Abschiedsvorstellung für Hauptdarsteller Harry Dean Stanton dar, der sich ein letztes Mal als ruheloser Wanderer durch die großen Fragen des Lebens begeben darf, um ganz am Ende für immer in den Weiten des Kinos zu verblassen. Eine passendere Würdigung ist kaum vorstellbar.
Autor: Patrick Reinbott