Inhalt
Humbert verliebt sich rettungslos in die erst zwölfjährige Lolita. Dank einer unglaublichen Verkettung von Umständen gelingt es ihm sogar, die Schülerin zu seiner Geliebten zu machen. Gemeinsam begibt sich das seltsamste aller seltsamen Paare auf eine ziellose Autoreise durch Amerika, ein Land, so jung, rätselhaft, kindlich und gefährlich wie Lolita selbst. Viel zu spät erkennt Humbert, daß sein wiederentdecktes Paradies der Vorhof zur Hölle ist und er systematisch zerstört, was er liebt.
Kritik
Ob Stanley Kubrick mit seiner Adaption des Skandalromans „Lolita“ von Vladimir Nabokov nun keine der literarischen Vorlage würdige Filmumsetzung gelungen ist, sei an dieser Stelle mal dahingestellt; es käme jedoch einem Sakrileg gleich, Kubricks „Lolita“ als schlechten Film zu bezeichnen. Adrian Lyne scheiterte im Jahre 1997 mit seiner „Lolita“-Version ebenfalls, allerdings nicht im Ansatz so faszinierend, wie es der große Kinovisionär einst tat, und verzettelt sich darüber hinaus bei der kinematographischen Übersetzung des kontroversen Stoffes in jedweder Hinsicht. Wie einschüchternd muss es aber auch für Lyne gewesen sein, ein Buch auf die Leinwand zu projizieren, an dem sich schon ein Stanley Kubrick versucht hat? Oder anders gesagt: Das Selbstvertrauen seitens Lyne mag ausgereicht haben, diesen Schritt zu wagen, die Umsetzung allerdings versprüht keinerlei standhaften Wissen bezüglich der renommierten Materie, sondern offenbart vielmehr einen schnöden Schönfilmer, der sich etwas zu deutlich am Körper seiner titelgebenden Nymphe labt, anstatt hinter die geschniegelten Fassaden zu blicken.
„Lolita“ steht bereits ab dem Moment auf verlorenem Posten, wenn er Humberts (Jeremy Irons) Objekt der Begierde, Dolores (Dominique Swain), zum ersten Mal ins Bild rückt und den Fehler begeht, das Schmachten des distinguierten Europäers für den Zuschauer nachvollziehbar zu machen. Wie einem feuchten Traum entsprungen liegt sie dort auf dem Rasen, die Beine angewinkelt, während der Rasensprenger längst dafür gesorgt hat, dass ihr dünnes Kleid den unschuldigen Körper nicht mehr sonderlich bedeckt halten kann. Dann folgt ein Lächeln, die Zahnspanne blitzt auf, erst trifft es Humbert, der wie beflügelt scheint, danach uns, die wir irritiert die Erwiderung vermeiden versuchen. Bevor Adrian Lyne sich an „Lolita“ versucht hat, war er abonniert auf Erotik-Thriller wie „9 ½ Wochen“, „Eine verhängnisvolle Affäre“ und „Ein unmoralisches Angebot“, in denen er die – für den Mainstream-Jargon – erlaubte Sexualität stilisieren durfte und anschließend zur moralischen Katharsis bat. In „Lolita“ darf kein Platz für verbalisiertes Moralin sein, allerdings muss die Beziehung zwischen Humbert und Dolores eben sowenig unreflektiert als schwülstige Liebschaft voller Querelen und Unzugänglichkeiten verkauft werden.
In Stanley Kubricks „Lolita“ wurden schnell deutlich, dass der von James Mason verkörperte Humbert keinesfalls Liebe für seine Lolita empfinden, sondern einzig in die Idee vom Verliebtsein vernarrt war und sich gar obsessiv in dieses Konzept verbissen hat. Jeremy Irons Porträt fällt sensibler aus, weitaus schmachtender, was die Konstellation der Figuren fragwürdig verschiebt. Humbert fehlt der schwarzhumorige Biss, seine Habgier wie die Besitzergreifung von Dolores fällt dem Erotisieren schierer Körperlichkeit zum Opfer. Und genau das zeichnet Adrian Lynes „Lolita“ in seiner Gesamtheit aus: Genießerisch weidet sich der Film an oberflächlichen Reizen und vergisst es dabei, Ambivalenzen walten zu lassen: Von Zweideutigkeiten darf in dieser „Lolita“-Variante nicht gesprochen werden, stattdessen werden müde Metaphern und abgehalfterte Symbole eingestreut, die sowieso keinen Sinn mehr ergeben, weil Lyne eh jeden subtilen Ansatz auf dem Silbertablett serviert. Lynes Inszenierung folgt einer sturen Mechanik, die jede elementare Ambiguität negiert. Das Eintauchen in das komplexe Konstrukt erschöpft sich in simplistischen Behauptungen psychologischer Relevanz. Dass das Ende dabei auch nur als logische Folge einer verhängnisvollen Leidenschaft funktioniert, anstatt als bitterer Schlusspunkt eines selbstzerstörerischen Machtgefüges, ist absehbar.
Sicherlich ist „Lolita“ nicht schlecht besetzt, er hat nur einfach die falschen Schauspieler in sein Ensemble geholt. Jeremy Irons ist ein wunderbarer Darsteller, kann aber immer dann aufdrehen, wenn es ihm erlaubt ist, auf große Gesten zurückzugreifen. Als Humbert Humbert verläuft sich Irons ein Stück weit, weil er, ähnlich wie sein Widerpart Dominique Swain, immerzu auf albernes Grimassieren zurückgreift. Frank Langella als Clare Quilty selbst verkommt komplett zur Karikatur ohne Fundament und darf sich im Finale – zusammen mit Irons – in bester Slapstickmanier zum nacktärschigen Affen machen. Was bleibt, ist ein Film der viele hochinteressante Motive in seinem Repertoire bereithält: Von Eifersucht zur pathologischen Besessenheit, von Kontrollzwang, Verführung, Instrumentalisierung und den Sturz in moralische Untiefen. Aber Drehbuchautor Stephen Schiff und Regisseur Adrian Lyne machen nichts aus ihren Möglichkeiten. Da ist es nur passend, dass sich „Lolita“ auf einen Off-Kommentar beruft, weil er zwar schicke Bilder bereithält, diese aber unmöglich für sich sprechen lassen kann, weil der Film außerhalb seines voyeuristischen Gestus nichts zu sagen hat.
Fazit
Die betonte Körperlichkeit von „Lolita“ führt Adrians Lynes Romanadaption in ihrer gesamten Motivik ad absurdum. Als sollten wir uns in den schmachtenden Augen von Jeremy Irons spiegeln, erotisiert Lyne die kontroverse Geschichte nach Strich und Faden und schafft es zu keiner Zeit, die ambige Komplexität der Vorlage aufleben zu lassen. Diese „Lolita“-Version wurde von einem Schönfilmer verstümmelt, der einzig auf oberflächliche Reize reagiert, nicht aber hinter seine schicken Fassaden blicken kann.
Autor: Pascal Reis