Inhalt
Kiya war schon immer eine Einzelgängerin, sehnt sich aber nach sozialen Kontakten. Als sie eines Tages ein Video von sich selber auf einer Social-Media-Plattform postet, in dem sie einen kleinen Lebensmittelladen ausraubt, gewinnt sie dadurch viele Follower, die mehr von Kiya sehen wollen. Da Kiya menschliche Nähe vermisst, begeht sie weitere Verbrechen, die sie wiederum viral verbreitet. Auf ihrer Reise trifft sie außerdem auf Menschen, die in ihren selbstzerstörerischen Strudel gerissen werden. Am Ende muss sich Kiya ihrem einsamen Ich stellen.
Kritik
Zwischen der Realität des wahren Lebens und den Online-Räumen des Internets, in denen sich jeder Mensch vollständig transformieren und in eine neue Identität schlüpfen kann, scheint Kiya in einer Art Übergangswelt gefangen zu sein. Die Hauptfigur von Robert Mocklers Film Like Me versucht sich an zahlreichen, oftmals ziemlich radikalen Möglichkeiten und Aktionen, damit die Videoclips, die sie mit ihrem Smartphone aufnimmt, zu einem viralen Hit werden. Hunderttausende Klickzahlen führen dazu, dass die provokanten, mitunter anstößigen Inhalte der Protagonistin im Netz kontrovers diskutiert werden oder als Vorlage diverser Parodie-Videos herhalten, während die Content-Erzeugerin selbst weiterhin anonym bleibt. Im Netz ist ihre Persönlichkeit kaum mehr als ein Name, dem die anderen Nutzer nicht einmal ein Gesicht zuordnen können. Genau aus diesem Zwiespalt, sich unentwegt nach einer Form von Aufmerksamkeit zu sehnen, gewissermaßen zwar wahrgenommen zu werden und am Ende doch wieder unsichtbar zu bleiben, entspinnt sich die Tragik von Kiyas Leben, aus der sich zugleich auch die Tragik unserer Gegenwart ableiten lässt.
Mockler versucht dieses Dilemma nicht nur auf inhaltlicher Ebene zu erfassen, indem er seinen Film als düsteres Charakterporträt über die Geltungssucht der in zwischenmenschlicher Isolation lebenden Hauptfigur anlegt, sondern primär über die auffällige Ästhetik. Obwohl Like Me mit einer Auftaktszene beginnt, die sich eindeutig in der Realität abspielt, verleiht der Regisseur diesen anfänglichen Momenten einen gezielt überstilisierten Eindruck. Wenn eine maskierte Kiya den unvorbereiteten Angestellten eines Convenience-Stores erst nur mit ihrem Smartphone und schließlich mit einer Pistole terrorisiert, die sich jedoch als Attrappe herausstellen wird, strahlt der Film neben der unbehaglichen Stimmung, die aus dieser Situation hervorgeht, zudem eine unwirkliche Atmosphäre aus. Die warmen Neonlichter, in die Mockler sein Szenario taucht, und der ständige Perspektivwechsel zwischen der Kamera von James Siewert und Kiyas Blick durch ihre Smartphone-Kamera verhüllen die Geschehnisse in einen halluzinatorischen Schleier. Das Gefühl des ständigen Kontrollverlusts, bei dem die exzessive Nutzung des Internets, das Gleiten durch mehrere soziale Netzwerke sowie Multimedia-Kanäle auch immer bedeutet, sich selbst regelmäßig aufs Neue ein Stück weit zu verlieren, erhebt Mockler fortwährend zum ästhetischen Konzept seines Films.
Mit grellen Farben, warmen Lichtern und verstörenden Impressionen, die der Regisseur regelmäßig für nur wenige Sekunden in den Rhythmus des immer wieder gegen den Strom der Linearität schwimmenden Handlungsflusses montiert, erscheint Like Me wie ein avantgardistischer Hybrid aus Werken wie Nicolas Winding Refns Drive und Oliver Stones Natural Born Killers. Anders als ein zeitgemäßes Update von Stones ungebändigter Mediensatire, das der zu gleichen Teilen träumerischen wie verlorenen Großstadt-Atmosphäre von Refns Neo(n)-Noir-Crime-Drama unterliegt, scheint es Mockler beinahe sogar zu gelingen, konventionelle Erzählmuster endgültig hinter sich zu lassen und einen puren fiebrig-befremdlichen Albtraum in Filmform zu entwerfen. Wie ein einsames Irrlicht geistert Kiya durch die Sackgassen ihrer realen Existenz, um bei der passenden Gelegenheit ein neues Video zu kreieren, das ihr kurzfristig den Schein der Sichtbarkeit verleiht. Ihre Versuche, sich einer realen Person anzunähern und ein zwischenmenschliches Verhältnis aufzubauen, bleiben erfolglos. Ein Obdachloser, den sie zu einem gemeinsamen Fressgelage in ein Diner mitnimmt, lässt sie alleine am Tisch zurück, als die Protagonistin von der Toilette zurückkommt.
Eine neue, aufregende Dynamik erhält Kiyas Leben erst, als sie den Motel-Manager Marshall mit einem Sex-Versprechen zu sich ins Zimmer lockt. Zunächst wird der von Larry Fessenden (Carnage Park) gespielte Mann, der optisch an Jack Nicholsons Jack Torrance aus Stanley Kubricks Shining erinnert, von der Protagonistin ebenfalls in eines ihrer dezent sadistischen Spielchen verwickelt und zur unfreiwilligen Hauptfigur eines Videoclips, der wieder einmal viral gehen wird. Zwischen Kiya und Marshall, der sich ebenfalls als einsames Individuum offenbart, entsteht anschließend allerdings eine ungewöhnliche Beziehung, die der Regisseur fortlaufend vertieft. Ab diesem Zeitpunkt, von dem an Mockler durchaus konkreter zu erzählen versucht und den experimentellen Charakter seines Films stellenweise stark vernachlässigt, wird Like Me von unnötig moralischen Tönen durchzogen, die in vorhersehbaren Konsequenzen münden.
Trotz einer ausführlichen Tripsequenz, bei der das Konsumieren von Magic Mushrooms chaotische Folgen mit sich bringt, scheint sich Mocklers Streifen vermehrt um sich selbst zu drehen, wobei der audiovisuelle Rausch längst abgeklungen ist und seine Wirkung merklich verloren hat. Bedauerlich, denn so ist Like Me ein durchaus gelungener Film, dem das Potenzial innewohnt, zu einem herausragenden Film zu werden. Im Gegensatz zu formvollendeten Meisterwerken wie Harmony Korines nach wie vor sträflich unterschätzten Spring Breakers, bei dem dem Regisseur eine Art Transzendenz der von ihm ausgewählten Jugendkultur sowie des dazugehörigen Lebensstils vollends geglückt ist, gelingt es Mockler in letzter Konsequenz nicht, seinen Film auf die nötige nächste Ebene zu heben. Like Me bleibt bis zuletzt greifbar genug, wo nach einer gewissen Zeit eigentlich nur noch abstrakte Unerreichbarkeit sowie bizarre Reizüberflutung herrschen dürften.
Fazit
Robert Mocklers Low-Budget-Film „Like Me“ kommt zunächst als filmgewordener Rausch daher, in dem die Schwelle zwischen der realen Welt sowie den schier endlosen Weiten des Online-Raums in überstilisierten Montagen verschwimmt. Dabei schöpft der Regisseur das ungemein avantgardistisch-experimentelle Potenzial seiner Ästhetik, die Mockler bisweilen durchaus imposant verfolgt, nicht vollständig aus und verliert sich zunehmend in konventionelleren, vorhersehbaren Erzählmustern, die der Film zuvor eigentlich so angenehm ausgeklammert und hinter sich gelassen hatte. Ein gelungener Film, in dem sich irgendwo ein herausragender verbirgt.
Autor: Patrick Reinbott