Inhalt
Jack Saunders und Bob Corby sind zwei in Mabel verliebte Boxer. Jack und Mabel sind verheiratet, aber ihre Ehe ist leer, so dass sie bei Bob Wärme zu suchen beginnt.
Kritik
Nachdem Hitchcock mit Der Mieter sein unbestritten bestes und bedeutsamstes Werk aus der Stummfilmära gedreht hatte, legte er mit Der Weltmeister zwar nicht gleichwertig, aber wenigstens ähnlich hervorstechend nach, zumindest in seinem zeitlichen Kontext. Heute wirkt die Geschichte um zwei rivalisierende, in die selbe Frau verliebte Boxer in keiner Weise außergewöhnlich und selbst die Inszenierung muss genauer betrachtet werden, um deren progressive Umsetzung wirklich zu wertschätzen. Im Prinzip hat Hitchcock hier so viele gute, aber nicht marktschreierisch-große Ideen drin, dass sie wie selbstverständlich heute immer noch und immer wieder verwendet werden und somit auf den ersten Blick nicht mehr clever oder erst recht nicht innovativ erscheinen.
„One Round“ Jack (Carl Brisson, Der Mann von der Insel Man, tatsächlich ein ehemaliger Boxer) verdient sich sein Geld als Rummelboxer, der zahlende, aber unfähige Gegner gemäß seines Namens noch in der ersten Runde auf die Matte schickt. Bis aus dem Nichts jemand auftaucht, der ihm standhält. Das ist allerdings kein Zufall: Der mysteriöse Gegner ist der australische Schwergewichtschampion Bob Corby (Ian Hunter, Robin Hood, König der Vagabunden), der das Talent des berühmten Showboxers testen wollte. Diesem winkt aufgrund dessen ein Vertrag als Sparringspartner und Aufwärmgegner, was ihm und seiner Verlobten, der Kartenverkäuferin Mabel (im Film immer nur als The Girl bezeichnet: Lillian Hall-Davis, The Farmer’s Wife) eigentlich nur zu Gute kommen sollte. Allerdings verguckt sich Bob sofort in die attraktive Frau und auch sie scheint nicht abgeneigt. Er schenkt ihr einen Armreif (in Schlangenform!), woraufhin Jack sie direkt ehelicht, bevor seine Felle davon schwimmen. Während seine sportliche Karriere in Windeseile voranschreitet und er sich aus dem Kleingedruckten zum Headliner heraufarbeitet, gleitet ihm seine Frau immer mehr aus den Händen. In Richtung seines einstigen Förderers, der jetzt nicht nur ein Konkurrent zwischen den Seilen ist. Aber dort lassen sich (männliche) Konflikte nun mal ideal austragen.
Erstmals und danach nie wieder verfilmte Hitchcock ein komplett selbst verfasstes Script ohne literarische Vorlage, bei dem nicht unbedingt die Geschichte per se, sondern ihre Intention und Umsetzung im Vordergrund steht. Zwei Männer duellieren sich um die Zuneigung einer Frau. Sie könnten im Prinzip jedem Beruf nachgehen, reduziert man es nur auf diese Tatsache. Das Boxen besitzt hier allerdings einen wichtigen, symbolischen und inhaltlichen Stellenwert . Der Originaltitel The Ring wurde bei der deutschen Übersetzung (total unnötig, würde ja das gleiche bedeuten) leider seiner Doppelfunktion beraubt. Mit Ring sind gleich beide Bedeutungen des Wortes gemeint. Der Box- wie der Ehering, um die sich alles dreht. In dem einen wird letztlich entschieden, wer den anderen für sich beanspruchen kann. Das mag mittelalterlich und misogyn erscheinen, wobei das dahingehend nicht zutrifft, da die Frau alle Zügel in der Hand hält und die Mannsbilder quasi gezwungen sind um ihre Gunst zu buhlen, bis ihnen nur noch der maskuline Faustkampf Mann gegen Mann übrig bleibt.
Von seiner Geschichte ist Der Weltmeister keinesfalls ein echtes Glanzstück, obwohl er mehr oder weniger auch als Grundlage anderer Underdog-Boxer-Geschichten bezeichnet werden kann, die ja nachweislich immer noch funktionieren. Mit was für einem visuellen Einfallsreichtum und akribischer Detailversessenheit Hitchcock hier agiert – etwas, was in der Folge zu seinen prägenden Markenzeichen werden sollte -, in Verbindung mit einem besonderen Stellenwert auf Symbolik und Metaphern, das lässt auch nach 90 Jahren aufhorchen. Rein technisch lässt sich schon mal attestieren, wie sehr er um eine klare, ausdrucksstarke Bildsprache bemüht ist und somit verhältnismäßig selten auf dann auch nur spartanisch beschriftetet Texttafeln zurückgreifen muss, obwohl seine Geschichte recht viel „Dialog“ bereithält und mit 86 Minuten auch nicht so kurz ausfällt wie zeitlich vergleichbare Arbeiten. Viel spannender als diese auffälligen Fakten sind die zahlreichen, wohl durchdachten Kleinigkeiten. Mal abgesehen von der bereits erwähnten Ring-Metapher, der Bedeutung des Boxens für ein maskulines Duell abseits des sportlichen Wettkampfes und der Schlangenform des Misstrauen und Verderbens stiftenden Armbandes finden sich hier viele schlaue, visuelle Ideen vor. Von einem eindeutig sehr selten genutzten 2.-Runde-Schild, dem Kohlensäuremangel in Champagner-Gläsern um das Verstreichen von Zeit elegant zu demonstrieren oder einer Plakatwand, die ohne Worte schnell und effektiv verdeutlicht, wie sich die Hauptperson an die Spitze kämpft. Das mag banal klingen, ist es aber für seine Zeit keinesfalls und wird in seiner Qualität durch die stetige Wiederverwendung über die Jahre nur bestätigt.
Fazit
„Der Weltmeister“ ist einer der seltenen Hitchcocks, die sich nicht über Spannung und Suspense definieren, diese beiden Begriffe gar komplett und bewusst ausklammert. Ein Ehedrama vor sportlichem Hintergrund, bei dem sein Regisseur sich und seine Methoden ausführlich austestet und dabei einige Volltreffer hinlegt. Am Ende ist es kein klarer K.O., aber ein deutlicher Sieg nach Punkten aufgrund der cleveren Vorgehensweise. Wäre Hitch ein Boxer, er wäre eher Henry Maske als Mike Tyson.
Autor: Jacko Kunze