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Im neuen Psychothriller LAST NIGHT IN SOHO von Regisseur Edgar Wright (Baby Driver) träumt sich Eloise (Thomasin McKenzie) in das glitzernde London der Swinging Sixties und trifft dort auf die geheimnisvolle Sandy (Anya Taylor-Joy), die ein düsteres Geheimnis umgibt.
Kritik
Um es gleich vorweg zu sagen: Last Night in Soho ist ein großes Ärgernis. Edgar Wright (Scott Pilgrim vs. the World, Baby Driver) ist gewiss ein talentierter Regisseur, doch er wird sich schon die Frage gefallen lassen müssen, was von Filmen wie Last Night in Soho eines Tages übrig bleiben soll, sieht man einmal von einer oberflächlichen Coolness ab, die oft genug mehr behauptet denn originell daherkommt. Ein großes Ärgernis ist das insbesondere deshalb, weil dieser neue Film des Briten über die angehende Fashion-Designerin Eloise (Thomason McKenzie, Leave No Trace, Jojo Rabbit), die für ihr anstehendes Fashion-Design-Studium in der britischen Hauptstadt die Obhut ihrer Granny und das beschauliche Cornwall aufgibt, nur so sprüht vor Ideen, diese jedoch zu selten zu akzentuieren weiß.
Die Fish-out-of-Water-Story über die introvertierte Eloise, die genrekonform seit dem Tod ihrer Mutter bei ihrer Granny lebte, kommt dabei besonders zu Beginn durchaus charmant daher, vielleicht auch deshalb, weil Außenseiter*innengeschichten niemals alt werden, ebenso wie narzisstische, unausstehliche Kommilitoninnen, die während des ersten Ausgeh-Abends auf der benachbarten Clubtoilette koksen und sich dort über das neue Mauerblümchen hermachen. Eine solche antagonistische Figur ist Jocasta (Synnøve Karlsen, die hier ihr Spielfilmdebüt gibt), der das rurale Cornwall vermutlich ebenso fern ist wie das neuseeländische Wellington, der Heimat Thomason McKenzies. Ganz bewusst jedoch distanziert sich Wright schnellstmöglich von der Idee, Eloise in ihrem Campus-Alltag dabei zu begleiten, wie sie sich gegen Jocastas Clique behaupten muss. Denn trotz Schüchternheit und Ängstlichkeit weiß Eloise in aller Voraussicht, als hätte sie einige Filme über das erste Jahr am College gesehen, dass sie sich während des kommenden Jahres weder dem ständigen Spott ihrer Kommilitoninnen, noch den ständigen Partys und schlaflosen Nächten aussetzen will und zieht ohne weitere Überlegungen aus dem Wohnheim aus, noch bevor wir wirklich beginnen können, uns an den Gemeinheiten Jocastas weiter aufzureiben. Eine ältere Lady, Miss Collins (Diana Rigg, Game of Thrones), hat, denkbar passend, ihr Dachbodenzimmer annonciert, ein Angebot, dem Eloise – unter der Beteuerung, dass sie weder Jungs nach Hause bringen, noch die Musik ihres Plattenspielers zu laut aufdrehen werde, hastig zusagt.
Soweit, so gut, sollte man meinen, drängte nicht regelmäßig eine zweite Wirklichkeitsebene in das Leben Eloises herein. Von ihrer Granny erfahren wir schon früh, dass es sich bei der jungen, rothaarigen Frau, die, wie wir eingangs sehen, der verwaisten Eloise wiederholt im Spiegel erscheint, um ihre verstorbene Mutter handeln muss. In London angekommen ist es plötzlich aber eine blonde junge Frau, die sie aus dem Spiegel heraus mal einschüchternd, mal lasziv anlächelt, eine Frau namens Sandy (Anya Tailor-Joy, The Witch, Thoroughbreads). Sandy genügt ihre Spiegelweltexistenz allerdings ganz und gar nicht und taucht bald schon regelmäßig in den Träumen Eloises auf, um diese zu ihrer Zuschauerin der allerersten Reihe zu machen, während die Blondine sie auf die Reise ins London der 1960er Jahre mitnimmt, in dem sie sich auf spielend leichtfüßige Weise dem Rausch des Londoner Nachtlebens auf eine Weise hingibt, wie es Eloise nicht möglich wäre. Doch muten diese Träume zunächst wie ein utopischer Raum an, in dem die zurückgenommene Eloise in der Kulisse, den Bildern und vor allem der Musik der 60er Jahre schwelgen kann, so entwickelt sich ihre nächtliche Zeitreise in ein London, das noch nicht gentrifiziert daherkam, eine Zeit, in der das Kino, mit Conciergen und rotem Teppich, noch Kinotheater war, eine Zeit, da der Rock n‘ Roll noch gelebt und nicht nur referiert wurde, zunehmend zu einem Alptraum, dem es mit jeder weiteren Nacht, die sie mit Sandie verbringt, schwieriger wird zu fliehen. Denn, so scheint es uns Edgar Wright mit aller Entschiedenheit auf den Weg zu geben: Früher war nicht alles besser.
In der Folge erzählt Wright vor allem einen Thriller, dem er, dann und wann, Schockmomente des Horrorfilms und Krimielemente des Film Noirs hinzufügt. Eloises Träume, die zunehmend Verbrechen zeigen, von übergriffigen Männern erzählen, die die Spiegelfigur Sandy zunächst auf die kleinen Bühnen des Nachtlebens Sohos zu locken wissen, um ihre Sehnsucht nach dem Rampenlicht für ihre Zwecke auszunutzen, stellen sich alsbald als zu wahrhaftig heraus, um nicht wahr zu sein. Wright weiß, was er an Anya Tailor-Joy hat, und inszeniert ihre Sandy dementsprechend als pompöse Kontrastfigur zu seiner in sich gekehrten Protagonistin Eloise, ebenso wie er weiß, dass Übergriffe wie jene, wie Sandy sie in den 1960er Jahren erlebt, auch den Alltag der allermeisten heutigen Frauen begleitet, wie es Eloise auf eigene Weise erfährt, als sie in der Nacht ihrer Ankunft in London von ihrem Taxifahrer belästigt wird und auf unbeholfene Weise in einem Mini-Mart vor diesem Zuflucht sucht. „Preditory men“, wie man diese Männer im angelsächsischen Raum bezeichnet, lauern in Last Night in Soho hinter jeder Ecke, sowohl in Eloises Träumen als auch in der Gegenwart. Die Behandlung dieses Themas erschöpft sich allerdings bereits auf dieser Ebene, wirkt eher wie ein den Plot voranbringendes Mittel als ernstes Anliegen.
Generell befände man sich in Schwierigkeiten, würde man vor die Aufgabe gestellt, näher zu erläutern, worum es Wright in diesem Film geht. Zur Auswahl stände da ein bisschen Metoo, ein bischen Schizophrenie, ein wenig Gaslighting, immer wieder befeuert durch einen neuen Plottwist. Nun sind ja Edgar Wrights Filme nicht unbedingt bekannt dafür, große Themen zu verhandeln, doch die Frage stellt sich schon, warum er jene, die in diesem Film zu finden sind, nicht recht in der Lage ist, in Szene zu setzen. Ohne Frage haben wir es hier mit einem überaus begabten Regisseur zu tun, doch ist die Regelmäßigkeit, in der er in Soho daran scheitert, faszinierende Einzelmomente in erinnerungswürdige Szenen zu verwandeln, ihnen ein filmisches Gewicht zu verleihen, schon bemerkenswert. Man würde diese Überfrachtung von Szenen angehenden Filmemacher*innen großzügig zugestehen, würde ihnen den zehnten überflüssigen Effekt verzeihen, der die Poesie vollends vertreibt, statt sie zu erzeugen. Nicht aber verzeihen kann man das einem 47-Jährigen, der es bei aller Filmexpertise, die er in Interviews und Podcasts verkörpert, bei aller Euphorie, die er noch immer für dieses Medium ausstrahlt, noch immer nicht gelernt hat, das Originelle seiner Filme zu akzentuieren, ganz als befürchte er, sein Publikum könne sich während einer ruhigeren Szene in überflüssigen Gedanken verlieren. Stattdessen hält Wright sich so rigoros an die Genre-Konventionen, dass ihm nicht nur jede Originilatät abhanden kommt, sondern Soho spätestens gegen Ende all die Dringlichkeit verloren hat, die man ihm eingangs noch bereit ist, zuzuschreiben. Große Regisseur*innen, so sollte man meinen, fechten jede Konvention und jede Regel an, die ihnen über den Weg laufen. Edgar Wright hingegen macht es sich in ihnen gemütlich. Und es ist vermutlich genau diese Haltung, die ihn davon abhält, in die Riege der wirklich Großen Filmschaffenden aufzusteigen.
Fazit
Es ist bedauerlich: Irgendwo in diesen 118 Minuten hat Edgar Wright einen guten Film versteckt, den er dann allerdings viel zu engen Genre-Konventionen unterordnet und dessen Stärken er nicht zu akzentuieren weiß. Stattdessen verliert sich Soho in einer bunten Beliebigkeit, nach deren Sichtung vor allem das Gefühl bleibt, auf uninspirierte Weise mit mehr geködert worden zu sein, als Wright einzulösen bereit war.
Autor: Patrick Fey