Inhalt
Im Alter von 51 Jahren war Thierry fast zwei Jahre arbeitslos, als er wieder einen Job bekommt. Doch die neue Stelle bringt ihn auch in ein moralisches Dilemma. Was ist er bereit zu akzeptieren, um seinen Job zu behalten?
Kritik
Michael Haneke (Das weiße Band) oder die Gebrüder Dardenne, Jean-Pierre und Luc (Zwei Tage, eine Nacht), sind drei renommierte Aushängeschilder der filmschaffenden Philosophie, ihre Ambitionen immer auf dem Fundament des absoluten Realismus zu errichten. Ihre Filme werden zu Spiegelungen unserer Realität, ihre Geschichten hat das Leben selbst geschrieben und die darin aufflackernden Emotionen entstammen aus Gefühlsregungen, die, für jeden nachvollziehbar, direkt in unsere Welt hineingreifen. Stéphane Brizé folgt ebenfalls dieser künstlerischen Devise und hat mit seinem neusten Film, Der Wert des Menschen, ein stringentes Abbild unserer Wirklichkeit erschaffen: Nicht die Reproduktion von Illusionen steht im Mittelpunkt, es geht ausschließlich um das Nachempfinden von alltäglicher Wahrhaftigkeit. Das mag trocken anmuten, ist aber erneut der Schlüssel, um sich dem Menschen und seiner Lebenssituation auf unverstellte Art und Weise anzunehmen.
Im Zentrum steht Thierry Taugourdeau (gespielt von Vincent Lindon, der in Cannes mit dem hochdekorierten Darstellerpreis ausgezeichnet wurde), der seit zwei Jahren arbeitslos ist und seitdem vom Arbeitsamt verordnete Fortbildungen, Umschulungen wie Gruppensitzungen über sich ergehen lassen muss. Das Ergebnis dieser Anordnungen? Für Thierry nicht erkennbar, vor allem dann nicht, wenn er in simulierten Vorstellungsgesprächen wieder und wieder Kritik an seinem Auftreten über sich ergehen lassen muss: Schließlich sind es ganze 55% Prozent, die die Körpersprache ausmacht, wenn man sich seinem, womöglichen, neuen Arbeitgeber präsentiert. 55%. Eine akkurate, unerschütterliche, quasi monolithisch verankerte Ziffer. Allein an diesem Wert lässt sich erkennen, dass das Kalkül der Arbeitslogik nicht auf Abweichungen gefasst ist. Doch genau dafür interessiert sich Stéphane Brizé: Für die Leerstellen unter dem Radar, die blinden Flecken im Berechnungsraster, oder anders gesagt: Den Faktor Mensch.
Der Wert des Menschen ist dabei streng auf das Dasein Thierrys fokussiert, oft ist es allein sein Gesicht, welches den mächtigen Bildkader ausfüllen muss – doch es hält ihm, dank Lindons nuancierter Performance, ohne Mühe stand. Thierry findet sich mit dem Rücken zur Wand wieder, Profitmaximierung ist der standardisierte Leitsatz im kapitalistischen System unserer Wirtschaft, kein Wunder, dass der Raum der zwischenmenschliche Entfaltung immer stärker, bis hinein in die methodische Entindividualisierung, verengt wird. Brizés Authentizität entlädt sich dabei im Naturalismus der Alltäglichkeit, ohne den Existenzkampf, in dem sich Thierry befindet, bagatellisieren zu wollen. Stattdessen gesellt man sich als Zuschauer hoffend an seine Seite, weil Der Wert des Menschen nicht um Empathie bettelt, sondern seine Identifikationsmöglichkeit wie von allein aus der unverstellten Darstellung von Menschlichkeit bereitstellt.
Fazit
Stéphane Brizé hat mit "Der Wert des Menschen" einen Film gedreht, den man wohl im wahrsten Sinne als 'Realistisch' titulieren möchte, findet hier doch eine akkurate Spiegelung unserer Realität statt. Vincent Lindon verkörpert dabei einen Mann, der seine Würde in den Mühlen des Kapitalismus nicht verlieren möchte, während sich Regisseur Brizé genau dafür interessiert: Den Faktor Mensch, als Leerstelle unter dem Radar der durchkalkulierten Marktlogik.
Autor: Pascal Reis