Inhalt
Halla (Halldóra Geirharðsdóttir) ist Chorleiterin, eine unabhängige und warmherzige, eher in sich gekehrte Frau. Aber hinter der Fassade ihrer vermeintlich gemächlichen Routine führt die 50-Jährige ein Doppelleben. Als leidenschaftliche Umweltaktivistin, bekannt unter dem Decknamen «The Woman of the Mountain», führt sie heimlich einen Ein-Frau-Krieg gegen die lokale Aluminiumindustrie. Erst mit Vandalismus und letztlich mit Industriesabotage gelingt es ihr, die Verhandlungen zwischen der isländischen Regierung und einem internationalen Investor zu stoppen. Doch dann bringt die Bewilligung eines fast schon in Vergessenheit geratenen Adoptionsantrags Halles gradlinige Pläne aus dem Takt. Entschlossen plant sie ihre letzte und kühnste Aktion als Retterin des isländischen Hochlands.
Kritik
In vergangenen Jahrhunderten bemühte sich ein Robin Hood noch um seine Mitmenschen und griff den Mittellosen unter die Arme. Doch worin besteht die Aufgabe für einen Robin Hood unserer Zeit, wo sich zumindest in der westlichen Welt im Vergleich zu früheren Zeiten ein gewisser Wohlstand eingestellt hat? Für den modernen Robin Hood gilt es, den Wald zu schützen, in dem der Robin Hood früherer Zeiten noch gelebt hat. Das Thema Umweltschutz ist heute aktueller denn je. Das zeigen hierzulande nicht nur die jüngsten Ereignisse im Hambacher Forst. In dem isländischen Filmdrama Gegen den Strom von Regisseur und Drehbuchautor Benedikt Erlingsson greift eine Umweltaktivistin zu Pfeil und Bogen, um so den wagemutigen Kampf mit der Industrie und Politik ihres Landes aufzunehmen. Der Film zeigt, dass sich die Zeiten für einen Robin Hood geändert haben und verpackt seine nicht unbekannte, aber nach wie vor elementare Botschaft in ein hoch künstlerisches Gesamtpaket.
Während der isländische Originaltitel des Films mit den Worten „Woman at War“ nahezu eins zu eins für die internationale Verbreitung ins Englische übersetzt wurde, ließ man sich für die deutschen Zuschauer mit dem doppeldeutigen Titel Gegen den Strom wieder etwas ganz Besonderes einfallen. Dreh- und Angelpunkt des Films ist ohne Zweifel die Hauptdarstellerin Halldóra Geirharðsdóttir (Of Horses and Men), die mit bewundernswerter Leichtigkeit die Rolle der facettenreichen Heldin Halla einnimmt. Erst flieht sie noch als knallharte, disziplinierte Umweltaktivistin zu Fuß vor einem Hubschrauber, der sie durch das isländische Hochland verfolgt, und im nächsten Moment schart sie als mütterliche Chorleiterin ihre Schützlinge um sich, um ihnen glücklich ihre baldige Mutterschaft zu verkünden. Dieser Frau nimmt man ohne zu zögern ab, dass sie nicht ohne Grund Bilder von Mahatma Gandhi und Nelson Mandela an ihrer Wand hängen hat. Ihrer Ausstrahlung zufolge ist sie ihren Vorbildern schon näher als so mancher andere, der seine Wand mit diesen großen Persönlichkeiten schmückt. Und damit nicht genug: Nebenbei ist Geirharðsdóttir auch in der Rolle der Zwillingsschwester Ása zu sehen, die als Yoga-Lehrerin den Kampf gegen das Böse in der Welt durch eine nach innen gekehrte Auseinandersetzung ausfechtet.
Wie selbstverständlich verschmelzen in Gegen den Strom Handlungsfäden eines Polit-Thrillers mit Episoden eines ganz persönlichen Dramas um die Adoption eines Kindes und die damit verbundene Lebensumstellung für eine alleinstehende Frau in den Fünfzigern. Durch die Darstellung privater Konflikte der Protagonistin wird es dem Zuschauer leicht gemacht, eine persönliche Verbindung zu Halla aufzubauen. Nur allzu gern fiebert man mit dieser ausdrucksstarken Frau mit, die an mehreren Fronten gleichzeitig zu kämpfen hat. Begleitet wird sie durch ein außergewöhnliches Musikanten-Trio, bestehend aus Klavier, Schlagwerk und Tuba. Damit wird der Film nicht nur durch originelle Klänge volkstümlicher Klangkulissen untermalt, sondern Erlingsson nimmt sich darüber hinaus die Freiheit, die Musikanten auf einzigartige Weise ins Geschehen einzubinden. Auch dies geschieht mit einer musterhaften künstlerischen Feinfühligkeit, dass es nie übertrieben oder prätentiös wirkt.
So bekommen wir in Gegen den Strom einen weiblichen Robin Hood zu sehen, die nun nicht mehr gegen Ritter und Adelige ins Feld zieht, sondern es mit Hubschraubern, Drohnen und Verfechtern des Kapitalismus aufnimmt. Gleichzeitig gewährt der Film einen unvergleichlichen Blick auf die atemberaubende isländische Landschaft und macht damit umso deutlicher, was die Natur ausmacht, die da vor der Zerstörung durch den Menschen steht. Auch hier findet Erlingsson eine dezente Bildsprache: Wenn Halla auf der Flucht vor den Maschinen unseres Zeitalters ihre Wange ins satte Grün des isländischen Mooses drückt und wie beiläufig die Augen schließt, sollte es uns allen einen Stich versetzen und einen Funken Willenskraft entfachen, für die Natur und unseren natürlichen Lebensraum einzustehen.
Fazit
„Gegen den Strom“ ist ein kleines filmisches Glanzstück aus Island, das die Verflechtung aus brandaktuellem Polit-Thriller und persönlichem Charakterdrama mit Bravour leistet. Das liegt zum einen am künstlerischen Händchen von Regisseur Benedikt Erlingsson und zum anderen an Hauptdarstellerin Halldóra Geirharðsdóttir, die mit unwiderstehlicher Präsenz die Rolle der Umweltaktivistin und werdenden Adoptivmutter einnimmt. Ein eindringliches filmisches Erlebnis, das seine wichtige Botschaft in behutsamer Ästhetik überbringt und im Gedächtnis hinterbleibt, als käme es mit Pauken und Trompeten.
Autor: Jonas Göken