Inhalt
Als Nina erfährt, dass ihr jugendlicher Sohn Lars bei einem Schulunfall verletzt wurde, steht sie vor einem Dilemma: Kann sie als Dirigentin die Proben mit ihrem Orchester hinter sich lassen, um ganz für ihn da zu sein? Unter Gewissensbissen fährt sie zusammen mit Lars auf die Insel im Westen Frankreichs, auf der sie normalerweise ihren Sommerurlaub verbringen. Sabotiert sie gerade ihre Karriere, für die sie so hart gekämpft hat? Währendessen zieht Lars sich jeden Tag weiter zurück, Missverständnisse häufen sich, Mutmaßungen werden zu Verdächtigungen: War Lars Zeuge eines grausamen Verbrechens in der Schule?
Kritik
Die titelgebende Verschwiegenheit Hanna Antonina Wojcik-Slak (Rudar) frostigen Familiendramas erstreckt sich auf die Regisseurin, die über ihre verschlossenen Figuren kaum mehr verrät als diese von sich preisgeben. Das ist nicht viel in einem durch futuristische Technologie vage in naher Zukunft verorteten Szenario, geprägt von harten, klaren Formen, stumpfen Farben und kaltem Zwielicht. Dessen allegorische Ambivalenz umfängt einen der beiden Hauptcharaktere. Lars (Jona Levin Nicolai, Polizeiruf 110: Der Dicke liebt) scheint irgendetwas zu wissen über das grausige Verbrechen an einer seiner Mitschülerinnen.
In der Schule, vor deren Eingang jetzt Blumen liegen, will niemand darüber sprechen. Die Kamera kommuniziert diese Verdrängung des Unmittelbaren durch den Verzicht auf jede direkte Exposition. In der Zeitung das Bild einer ausgebrannten Mülltonne mit der Überschrift: Wurde sie verbrannt? Auf die Frage erfolgt in knapp 90 Minuten Laufzeit nie eine Antwort. Das Opfer hat nichtmal einen Namen, denn es ist nur Initiator einer im doppelten Sinne nichtssagenden Konfrontation zwischen Lars und seiner Mutter.
Als Dirigentin ist Nina (Maren Eggert, Ich bin dein Mensch) hypersensibel für Dissonanzen, doch nahezu taub für die seelische Krise ihres Sohnes. Der dirigiert nun sie mittels eines vorgetäuschten Selbstmordversuchs auf die Ferieninsel, die einst ihr Sommerdomizil war. Der scharfe Wind und Kälte symbolisieren die unterkühlte Stimmung zwischen Lars und Nina, deren Handy sie ständig an berufliche Verpflichtungen mahnt. Eine gute Mutter muss natürlich andere Prioritäten haben, mahnt die Regisseurin, sonst bringt der Nachwuchs sich oder andere um.
Fazit
Zu Beginn scheint die gezielte Reduktion der psychologischen Profile und Hintergründe der den Kernkonflikt anstoßenden Ereignisse noch eine effektive Strategie zum Aufbau von Suspense und Verunsicherung. Doch Hanna Antonina Wojcik-Slaks selbstverfasstes Skript stagniert in seiner Prämisse. Während die Auseinandersetzung auf der Stelle tritt, bleiben deren essenzielle Frage nach Tatvorgang, Komplizenschaft und der Motivation Ninas Verhaltens - karrieristische Kalkulation? Selbstschutz? Hilflosigkeit? - teils offen, teils ungestellt. Der Rest ist solides Schauspielkino vor aparter Kulisse. Anders formuliert: gepflegte Langweile.
Autor: Lida Bach